Zum Tode von Klaus Wagenbach
Sein Weg wurde ihm vielmehr von seinem Herzblut vorgegeben, weswegen er auch aufreizend gern rote Socken trug, seinem Verlag die glorifizierte Richtung „Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus“ verpasste und im noch heute vorgezeigten Firmenwahlspruch vorgab, „für wilde Leser“ tätig zu sein. Und wahrlich wild ist es im Leben und im Verlag dieses widerständigen Zeitgenossen auch zugegangen.
Eines Tages machte Klaus Wagenbach seine Erinnerungen auch im Großen Saal des Friedenauer Nachbarschaftshauses einem hocherfreuten Publikum bekannt. In seinem von der Weisheit des Alters und mit mildem Spott gewürzten Vortrag gab er einen pointenreichen Einblick in das turbulente Verlagsgeschehen, vor allem in den wilden siebziger Jahren, als der Verlag ganz zeitgeistgetreu für einige Jahre eine kollektive Führung erhielt, die dann später damit endete, dass der Gründer die Hälfte des Kapitals seinen Mitarbeitern schenkte und innerhalb des Verlags nun zwei Gesellschaften tätig waren. Er wusste die Heiterkeit des dankbaren Publikums aber auch damit zu erregen, indem er aus seinem Buch jene Passage vorlas, die von seinen Erlebnissen mit Touristen in seiner toskanischen Zweitheimat handelt. Denn das Fazit seiner Beobachtungen zum Auftreten seiner deutschen Landsleute war die Feststellung, dass sie im Gegensatz zu Touristen anderer Nationen die Eigenart hätten, die eigene Herkunft möglichst unkenntlich zu machen.
Dieses Verhalten mag sich inzwischen geändert haben, doch die damalige Zeit war geprägt von der Aufarbeitung der NS-Zeit und ihrer Verbrechen. Besonders in stärker werdenden Teilen der nachfolgenden Generation war das Gefühl von Schuld und Scham damals größer als die Vaterlandsliebe. Der leise Spott des Autors sowohl im Buch als auch in der Kunst seines Vortrags erinnerte aber zugleich daran, dass kollektive Schuld stets in individuelle Teilschuld aufzuteilen ist, ganz so wie der geniale Architekt Liebeskind das in seinem begehbaren Denkmal für die Verfolgten und Ermordeten durch die unterschiedlichen Größen der aufragenden Kästen erlebbar gemacht hat. Und bei der gedanklichen Kastenwahl für den Schuldanteil der eigenen Vorfahren wird sich demgemäß Freude bei denjenigen bemerkbar machen, deren Gewissen rein bleiben konnte. Auf solchem Boden wächst der Humor. Auch im Fall Wagenbach.
Ich nicht!
Bereits der Großvater machte seine vom eigenen Gewissen geleitete Widerständigkeit dadurch öffentlich, indem er über seinem Hauseingang in Messinglettern das auch im Kreis der Widerständler um den späteren Attentäter Stauffenberg als Merkmal verwendete Zitat aus dem Evangelium anbrachte: „Etsi omnes ego non“, was frei übersetzt bedeutet: Wenn auch alle mitmachen, ich nicht! Zwar wurde irgendwann die NS-Obrigkeit darauf aufmerksam, sodass die Lettern wieder entfernt werden mussten, doch blieb der Schriftzug immerhin als Schatten auch danach noch lesbar. Und so kann der Schatten dieser Losung auch noch über dem Leben seines eigensinnigen Enkels seine Leuchtkraft entfalten. Auch der Vater überlebte das Regime unbeschadet als Archivar von Akten im Keller einer Bank und ebenso die Mutter als unauffällige Telefonistin. Inmitten der Berliner Trümmerlandschaft des Jahres 1949 konnte also der junge Klaus Wagenbach eine wenn auch nicht unbeschwerte, so doch aber wenigstens unbelastete Ausbildung im damals noch vereinigten Verlag Suhrkamp/Fischer absolvieren.
Es folgte in Frankfurt ein Studium der Literatur- und Kunstgeschichte und die Promotion über Franz Kafka, einen damals ganz unbekannten Autor, der ihn zeitlebens beschäftigen sollte, sodass er sich humorig als dessen „dienstälteste lebende Witwe“ bezeichnet hat. Im Jahre 1959 konnte er eine Tätigkeit als Lektor im Verlag S. Fischer aufnehmen, was freilich nur von kurzer Dauer war. Denn zwei Jahre später kaufte der Verleger Holtzbrinck die Firma und nutzte eine Eigenmächtigkeit des Lektors zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Der widerborstige Lektor hatte sich nämlich beim Generalstaatsanwalt auf Firmen-Briefpapier über die willkürliche Verhaftung eines DDR-Verlegers auf der Frankfurter Buchmesse beschwert, doch der hatte sich statt einer Antwort an den Verleger gewandt, der in dem Verhalten des eigenen Angestellten eine Schädigung des Unternehmens erblicken wollte. Da mochte er sich an den ersten Satz aus Kafkas „Prozess“ erinnert haben, in dem es heißt: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Tages verhaftet.“
Mit der Idee eines Verlages für deutschsprachige Literatur aus Ost und West gründete er unter großen Anfangsschwierigkeiten im Jahre 1964 seinen eigenen Verlag in West-Berlin. Doch nachdem er bereits im ersten Jahr mit der selbst zusammengestellten Sammlung von Liedern des aufmüpfigen Wolf Biermann in seiner „Drahtharfe“ den Zorn der DDR-Führung auf sich gezogen hatte und einer Aufforderung zur Unterlassung einer zweiten Auflage nicht nachkommen wollte, wurde ihm nicht nur die Einreise in die DDR untersagt, sondern auch die Durchreise über das Gebiet der DDR auf den Transitwegen, Für die verbleibende Existenzdauer der DDR musste er also für seine beruflichen Wege nach Westdeutschland den Flughafen Tempelhof nutzen. Und seine Kontakte zu Literaten in der DDR musste seine Ehefrau Katharina Wagenbach-Wolff wahrnehmen, die aus einer generationenlangen Verlegerfamilie stammt und die nach der Trennung von ihrem Mann die heute „Zauberberg“ heißende Buchhandlung in Friedenau übernahm und die auf literarische Kostbarkeiten spezialisierte „Friedenauer Presse“ gründete.
Auf zu neuen Ufern!
Nachdem also die Idee eines Ost-West-Verlages am Kalten Krieg gescheitert war, wuchs der Wagenbach-Verlag zu jenem Flaggschiff der Achtundsechziger heran, als der er in das Bewusstsein der Öffentlichkeit trat und geblieben ist. Es erschienen „Bambule“ von Ulrike Meinhof und auch ein Manifest der RAF als „Zeitdokument“. In der Folge gingen nicht nur bekannte Köpfe der Achtundsechziger wie Rudi Dutschke in seinem Hause ein und aus, sondern auch die Polizei beehrte ihn immer wieder mit Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen, wobei er juristischen Beistand in nachfolgenden Prozessen stets beim späteren RAF-Verteidiger und noch späteren Bundesinnenminister Otto Schily fand. Er scheute sich nicht, den Tod des Anti-Schah-Demonstranten Benno Ohnesorg von Anfang an als Mord zu bezeichnen und als sich niemand fand, die Grabrede nach dem Selbstmord von Ulrike Meinhof zu halten, gab er ihr und sich selbst als ihr Verleger die Ehre, sie vor dem ablehnenden Urteil der Frontstadt-Öffentlichkeit und auch der RAF-Sympathisanten zu verteidigen, die sogar Anstalten machten, ihn in das offene Grab zu schubsen, als er zwar die intellektuelle Kraft ihrer Texte würdigte, aber ihren Weg zur Gewalttätigkeit der RAF-Kommandos nicht gutheißen wollte.
Der Weg des Verlags wurde daneben aber auch von der Liebe zur Literatur gezeichnet. Hier wurden Ingeborg Bachmann, Johannes Bobrowski und Pier Paolo Pasolini veröffentlicht, und bei ihm erschienen die „Hundejahre“ seines Freundes Günter Grass. Seine eigenen Bücher zu seinem Lieblingsautor Kafka wurden sogar zu einem Triumph eigener Forschungsarbeit, Doch blieb die politische Literatur ein Schwerpunkt. Erinnert sei hier nur an die Quarthefte und die Reihe Rotbuch. Einige Jahre erschien bei ihm auch das von Enzensberger herausgegebene Kursbuch, der über seine Auseinandersetzungen mit ihm während seiner Friedenauer Jahre in der FAZ schrieb: „Wagenbachs Humor hat uns alle verblüfft. Er war so unpassend wie er selbst, hat weder der Berliner Linken gefallen noch den Salonlöwen von damals. Er hat uns oft irritiert, aber immer erheitert.“
Doch nachdem er die Verlagsgeschäfte in die Obhut seiner dritten Ehefrau Susanne Schüssler gegeben hatte und sich ganz auf die Arbeit als Lektor konzentriert hatte, setzte der Verlag nochmals ein neues Glanzlicht, indem die auf 45 Bände ausgelegten Biografien der großen Renaissance-Maler von Georgio Vasari neu aufgelegt wurden, und soeben erscheint die zweite Auflage der hochpreisigen und monumentalen Michelangelo-Biografie von Horst Bredekamp.
Wie der Verlag in einer Mitteilung bekannt machte, ist Klaus Wagenbach am 21. Dezember im Alter von 91 Jahren gestorben, „im Kreise seiner Familie und umgeben von seinen Büchern.“