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01.03.2020 / Menschen in Schöneberg

Wie man einen Haken schlägt

Am 8. Januar hatte die 28. Kammer des Landgerichts darüber zu entscheiden, ob der freie Jugendträger Potse e.V. mit einjähriger Verspätung nun endgültig die Schlüssel für die vom Nutzerkollektiv auch nach der Kündigung mit Hilfe einer „Besetzung“ genutzten Räume in der Potsdamer Straße 180 abgeben muss.
Besetzer vor der Jugendeinrichtung in der Potsdamer Straße. Foto: Thomas Protz

Wegen des erwarteten großen Interesses der Öffentlichkeit war die Verhandlung ins Kriminalgericht Turmstraße verlegt worden, wo ausreichend große Räume zur Verfügung stehen. Und in der Tat war der Andrang groß.

Draußen war ein LKW mit einer Punk-Band aufgefahren, und von dort schallte es bis in den Verhandlungssaal im 1. Stock herauf, in den Musikpausen unterstützt durch kämpferische Ansagen wie „Gegen Kommerzialisierung und für freie Jugendarbeit“, was von mehr als 50 Unterstützern bejubelt und mit Tanzbewegungen begleitet wurde, trotz des regnerischen Wetters, und im Angesicht von einer gehörigen Anzahl von Polizisten, die sowohl vor als auch im Gebäude Präsenz zeigten.

Derweil wurden die über ein Dutzend Presseleute einzeln überprüft und über eine gesonderte Sicherheitsschleuse weitergeleitet, während über eine weitere Sicherheitsschleuse die drei Dutzend Zuschauer ebenfalls einzeln abgefertigt wurden, was erheblich länger dauerte, weswegen die Sitzung erst mit einer Stunde Verspätung eröffnet werden konnte.

Und jetzt liebe Leser, erwarten Sie bitte keine Sensationen, denn es gab stattdessen eine ordentliche Lehrstunde in Juristerei. Gleich zu Beginn gab Einzelrichter Kleber bekannt, dass der beklagte Potse e.V., der neben zwei Rechtsanwälten auch zwei Vorstandsmitglieder aufgeboten hatte, von denen der eine tatsächlich einen auffälligen Grün-Schmuck im Haar trug, vor Prozessbeginn und per Mail eine Verfahrensbeschwerde eingereicht habe. Da aber trotz Aufforderung kein Schriftsatz in Papierform nachgereicht wurde, wodurch alle Verfahrensbeteiligten auf den gleichen Kenntnisstand gebracht worden wären, erklärte Richter Kleber seine Absicht, die Mündliche Verhandlung dennoch durchführen zu wollen, ohne vorher in der Beschwerde entschieden zu haben, weil die Beschwerde ohnehin unzulässig sei.

Nach einer von ihnen daraufhin beantragten Beratungspause stellten die Potse-Anwälte einen Befangenheitsantrag. Und als Richter Kleber dennoch bei seiner Auslegung der Prozessordnung blieb, wonach die Beschwerde unzulässig sei, deswegen auch der darauf gründende Antrag auf Befangenheit keine aufschiebende Wirkung entfalten könne und er deswegen wie angekündigt fortfahren wolle, beantragten die Potse-Anwälte erneut eine Beratungspause. Und nach Wiedereröffnung der Sitzung überreichten sie nun das angemahnte Schriftstück sowohl dem Richter als auch  der Gegenpartei, die ebenfalls aus einem Quartett bestand, darunter auch Vertreter des bezirklichen Rechtsamts.

Nach Aufforderung durch den Richter trug die Potse-Partei nun auch mündlich den Inhalt der Beschwerde vor. Sie richte sich gegen die Sicherheitsverfügung des Richters, weswegen darüber auch vor dem Beginn der Sitzung entschieden werden müsse. Mit dieser Verfügung habe der Richter Jugendliche unter 16 Jahren von der Teilnahme an der Sitzung als Zuhörer ausgeschlossen. Da aber Potse e.V.: der Träger eines basisdemokratischen Jugend-Projekts sei, würden gerade diejenigen von der Teilnahme ausgeschlossen, die doch in den Belangen des Projekts mitentscheiden sollen. Dies sei daher als ein erheblicher Eingriff in die Belange einer Prozesspartei zu werten.

Doch Richter Kleber zeigte sich auch von den mündlich vorgetragenen Argumenten unbeeindruckt. Er blieb bei seiner Rechtsauffassung, die sich auf höchstrichterliche Entscheidungen stützen könne, wonach er bei Sicherheitsbedenken sehr wohl befugt sei, Teilnahmebeschränkungen auszusprechen. Deswegen sei die Beschwerde unzulässig, er gedenke wie angekündigt in die Verhandlung einzutreten. Daraufhin erklärten die Potse-Vertreter, unter diesen Umständen nicht weiter an der Verhandlung teilnehmen zu wollen, stellten erneut einen Befangenheitsantrag und verließen den Saal. Und diesen Auszug wiederum nahm die Gegenseite zum Anlass, um ein sogenanntes Versäumnisurteil zu beantragen. Woraufhin Richter Kleber die Sitzung schloss.

Wie Lisa Jani als Leiterin der Gerichts-Pressestelle dem wissbegierigen Schwarm der Journalisten nach der Sitzung erläuterte, kann ein Versäumnisurteil dann ergehen, wenn eine Prozesspartei es „versäumt“, die eigenen Belange im Prozess zu vertreten. Und selbstredend werde zuvor zunächst über die beiden Befangenheitsanträge entschieden, und zwar von einer anderen Kammer, die bereits feststehe, weil sie wie immer in einem Planverfahren bereits festgelegt sei, um Begünstigungen auszuschließen.

Auf dem Weg zum Ausgang gab es dann noch eine kleine Überraschung. Denn auf dem Absatz des riesigen Treppenhauses standen die Prozessgegner friedlich beisammen, umringt von Journalisten, und verabredeten einen nochmaligen Verständigungsversuch außerhalb der gerichtlichen Auseinandersetzung. Danach will die Klägerseite Land/Bezirk noch einmal die bestehenden Ersatzmöglichkeiten für die aufzugebende Potsdamer Straße 180 auflisten. Die beklagte Seite Potse e.V. will ihrerseits umgehend mit der Auflistung der unverzichtbaren Essentials der Jugendlichen antworten. Und anschließend wolle man sich lösungsorientiert „zusammensetzen“. Viel Zeit bleibt allerdings nicht mehr. Pressefrau Jani, die ausgebildete Richterin ist, schätzt die Frist bis zum Versäumnisurteil auf vier Wochen.

Ottmar Fischer