Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Freizeit und Kultur im Nachbarschaftsheim

08.07.2018 / Projekte und Initiativen

Vom Glück des Bewahrens

Am 27. April gab es im Georg-Kolbe-Museum ein Wiedersehen mit den „Grunewaldkiefern“ und zugleich ein Wiedersehen für Maria von Tiesenhausen mit dem realen Ort ihrer Kindheit.
Links Dr. Julia Wallner, rechts Maria von Tiesenhausen. Foto: Kolbe-Museum

Unter den Grunewald-Kiefern an der Heerstraße ist im Lauf der Zeit so manches größere oder kleinere Haus entstanden und hat den Wald weiter gelichtet, doch bleibt selbst im Winkel von S-Bahnstrecke und Autoheer-Straße der Eindruck der nahen Waldesstille bestimmend. Auf der Höhe seines Erfolges Ende der zwanziger Jahre ließ sich der Bildhauer Georg Kolbe hier sein Atelierhaus, und in der unmittelbaren Nachbarschaft später ein Haus für seine Tochter errichten, das heute als Museums-Café dient. Als Tochter der Tochter ist natürlich auch Maria von Tiesenhausen das Ensemble ein Stück Seelenheimat. Und so nahm sie bei ihrer Übersiedelung von dem bombenzerstörten Elternhaus nach Kanada mit Wehmut ein Stück Erinnerung mit, das ihr auch aus der Ferne die Anrufung ihrer Kindheit unter den Grunewald-Kiefern gewährleisten konnte.

Zu diesem Fernblick-Fenster wurde ihr das im Jahre 1906 entstandene Gemälde „Grunewaldkiefern“ von Max Beckmann, das der Maler seinem Kollegen Georg Kolbe zur Erinnerung an jene Zeit schenkte, als beide noch am Beginn ihrer Laufbahn standen und im Atelierhaus Eisenacher Straße 103 an ihrer im Verlauf so unterschiedlichen Entwicklung arbeiteten. Während der Beschenkte vom Zeichner zum Bildhauer mutierte und sich bald als „sehr begeisterter Anhänger der Tanzkunst“ entdeckte, was mit der im Jahre 1912 von der Neuen Nationalgalerie als erste moderne Plastik überhaupt angekauften „Tänzerin“ einen ersten Höhepunkt fand, ging Beckmann den umgekehrten Weg von der impressionistischen Leichtigkeit des Seins, die er bei Max Liebermanns Wannseebildern als Reflexion der Franzosen kennengelernt hatte, mit zunehmender Entschlossenheit zu einer breitrandigen Figurierung in hartkantig verschachtelten Szenarien über.

Was in den „Grunewaldkiefern“ die Lust zum Atmen erregte, führte in der „Hölle der Vögel“ (1937/38) schließlich sogar zur Atembeklemmung. Dazwischen liegt freilich die Erfahrung als Hilfssanitäter im Ersten Weltkrieg, die Rohheitswahrnehmung in den haltlos gewordenen Nachkriegsgroßstädten, und schließlich das Ohnmachtserlebnis in der Wahngesellschaft des Nationalsozialismus. Am Beginn der Künstlerfreundschaft in der Eisenacher Straße der Jahre 1904/05 steht jedoch die Gemeinsamkeit der Suche nach solchen Ausdrucksformen, die das Figürliche gegen die Abstraktionstendenzen der Zeit verteidigen, und sei es auf altmeisterliche Art. Beide finden auch in der Auseinandersetzung mit den wilhelminisch aufgeblasenen Kunstformen zusammen, was sie gemeinsam zur Mitgliedschaft in der Berliner Secession und sogar in deren Vorstand führt. Doch dann trennen sich ihre Wege.

Findet der Bildhauer in seiner „Tänzerin“ einen Weg der „Verkörperung“ des gemeinsamen Freiheitsideals, indem er sie in einer selbstbewussten Bewegung gewissermaßen aus der verkrusteten Ordnung der Zeit heraustanzen lässt, verlässt Beckmann das atmosphärische Freiheitsversprechen seiner „Grunewaldkiefern“ und richtet den Blick auf Behinderungen von Freiheit, äußere als innere und verinnerlichte als geäußerte. Im Potsdamer Museum Barberini sind noch bis zum 10. Juni in einer sehenswerten Ausstellung „Welttheater“ viele Beckmann-Gemälde zu sehen, die staatliche Überwältigungsstrategien im Tarnmantel kultureller Inszenierungen zeigen (u.a. „Selbstbildnis mit Saxophon“): Die Show der misslingenden Freiheit als Jahrmarktsspektakel.

Frauen unter sich

Am 27. April gab es nun im Georg-Kolbe-Museum ein Wiedersehen mit den „Grunewaldkiefern“ und zugleich ein Wiedersehen für Maria von Tiesenhausen mit dem realen Ort ihrer Kindheit. Denn die mittlerweile neunzigjährige Enkelin Kolbes übergab in einer kleinen Feierstunde das Gemälde an das Museum unter den realen Kiefern, als Geschenk. „Auf die große Reise kann man nichts mitnehmen“, hat sie der Museumsleiterin Dr. Julia Wallner gesagt, die bei ihren Forschungen zu den Künstlerfreundschaften Kolbes auch auf Beckmann aufmerksam geworden war und nach langem brieflichen Kontakt nun bei einem persönlichen Besuch in Kanada mit der Übergabebereitschaft der Enkelin beglückt wurde.

Wenn man bedenkt, dass Beckmanns „Hölle der Vögel“ im vergangenen Jahr für über 40 Millionen Euro den Besitzer gewechselt hat, erscheint besonders bemerkenswert, dass auch die Töchter der Enkelin auf alle Ansprüche an den „Grunewaldkiefern“ zugunsten des Museums verzichtet haben, obwohl ihre eigenen Bindungen an den Erinnerungswert des Gemäldes doch ungleich geringer sein dürften, eine Veräußerung nach dem Ableben der hütenden Mutter also durchaus als verlockend erschienen sein mochte. Doch auch bei den familieninternen Beratungen hat das Gewicht der mütterlichen Bindung an das Zuhause der Kiefern offensichtlich den Ausschlag gegeben.

Schließlich war sie selbst von 1969 bis 1978 Leiterin des Museums gewesen, das nach der testamentarischen Verfügung Kolbes in seinem Atelierhaus neben seinen Werken auch seine Bibliothek und seine Kunstsammlung bewahren sollte. Um diesem Wunsch des Großvaters gerecht zu werden, erfolgte unter ihrem Direktorat die Beseitigung der Atelier-Situation, um eine Kolbe-Ausstellung mit Bronze-Figuren einzurichten. Zudem wurden viele Güsse für das Museum hergestellt, da besonders aus dem Frühwerk Vieles im Nachlass fehlte. Und sie war es auch, die den Hauptteil der Zeichnungen Kolbes aus der damaligen DDR, wohin sie während des Krieges ausgelagert worden waren, unter beträchtlichem Einsatz und mit diplomatischem Aufwand ins Museum heimholen konnte.

Während der noch bis zum 17. Juni laufenden Ausstellung „Die erste Generation“ ist das Bild dort zu sehen, übrigens neben einem weiteren Geschenk der Spenderin aus dem Kolbe-Erbe, der Plastik „Kämpfende Frauen“ von Aristide Maillol. Es veranschaulicht auch jenen Kampf in des Menschen Seele, der vor jeder schwerwiegenden Entscheidung ausgefochten werden muss. Was für ein hochachtenswertes Ergebnis wurde hier gefunden. Danke.

Ottmar Fischer