Vom Denkzeichen zur Gedenkstätte?
Stadtrat Krüger ließ die Projekte kommentarlos ohne Hintergrundinformationen oder dem obligatorische Protokoll der Jurysitzung präsentieren. Im Rathaus war kein Hinweis aufgestellt, die Mitarbeiter waren nicht informiert. Erst nach kritischen Stimmen der Besucher gab es dann für die wenigen letzten Tage der ohnehin viel zu kurz angesetzten Ausstellung eine Verlegung ins Erdgeschoss und ein Hinweisschild. Eine spärliche Presseerklärung am 14.9.2012 war alles, was man in Sachen Öffentlichkeitsarbeit zu bieten hatte.
Dessen ungeachtet stießen die Entwürfe auf großes Publikumsinteresse, und die Besucher hielten ihre zumeist kritischen Meinungen nicht zurück. Viele wussten, worum es geht, obwohl der Bezirk sich öffentlich nie dazu geäußert hatte. In der mangels Verteilung der Einladung nur als halböffentlich zu bezeichnenden Veranstaltung von Stadtrat Krüger zur Grünflächenplanung an der Torgauer Straße am 19.4.2012 wurden die Bürger über die geplante „Gedenkstätte“ jedenfalls nur mit einem halben Satz informiert. Im ausgelegten Grünflächenentwurf war ein entsprechender Bereich dafür ausgespart und die Markierung des Grundrisses des heute noch vorhandenen Häuschens. Eine sinnvolle Wegeführung von der Torgauer Straße in der Höhe Leberstraße fehlte. Fazit: Die Planer waren offenbar nicht richtig informiert und die Grünanlage sollte an dieser Stelle Priorität haben.
Bereits im März lobte der Bezirk einen beschränkten künstlerischen Wettbewerb für ein „Denkzeichen“, das Julius und Annedore Leber gewidmet sein sollte, aus. Im April hielt er für die Künstler ein Kolloquium ab. Die Betreuung des Verfahrens übernahm das Büro für Kunst im öffentlichen Raum des BBK. Aus dem Künstlerverband kamen die Vorschläge für die geladenen Künstler. Wer die Fünf Auserwählten tatsächlich bestimmt hat, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Am 31.8.2012 traf sich das Preisgericht, in dem drei Künstler aus dem Verband und eine Kunstsachverständige sowie drei Sachpreisrichter aus dem Bezirksamt (Stadtrat Krüger, Stadträtin Kaddatz, Amtsleiter Siegmund Kroll) die Projekte beurteilten. Siegreich mit einer Gegenstimme ging der Entwurf von Katharina Karrenberg aus dem Wettbewerb hervor.
Die Auflagen der Auslobung schränkten die Künstler deutlich ein. Für nur 20.000 Euro sollten sie ein „vandalismusresistentes“ Kunstwerk schaffen, das keine Unterhaltungskosten verursacht und die Nutzung der Grünanlage nicht beeinträchtigt. Während der Erhalt des vorhandenen Hauses ausgeschlossen wurde, bestand die Option, Teile des Baus oder andere Relikte zu nutzen. Die Aussagen zur Aufgabenstellung waren darüber hinaus recht unpräzise, als Leitgedanke taugte allenfalls die Idee der Kohlenhandlung als Begegnungsort von Widerständlern. Dabei wurde jedoch versäumt klarzustellen, welchen politischen Charakter die Treffen hatten: Dort trafen sich Menschen, die den Umsturz des Nazi-Regimes planten und ein Attentat auf Hitler mit all seinen dramatischen Konsequenzen. Die Rolle des Hauses für Annedore Leber in der Nachkriegszeit wurde erst gar nicht weiter thematisiert.
Das Ergebnis des Wettbewerbs sind fünf sehr unterschiedliche Entwürfe, denen die Schwächen der inhaltlichen Aufgabenstellung fast durchweg anzumerken sind. Insbesondere zwei Beiträge verzetteln sich bei der inhaltlichen Gestaltung und bleiben daher künstlerisch und inhaltlich unbefriedigend. Konsequenter ist der Vorschlag von Sibylle Hofter, das Haus zum Aktionsraum zu machen („Zeit Schichten Raum“). Aber in dem von ihr beschriebenen Rahmen Kontinuität herzustellen, erscheint eine schwierige Aufgabe. Ihr Verweis auf das gesamte Grundstück der Kohlenhandlung und dessen Erfahrbarkeit durch den Erhalt von Teilen des charakteristischen Geländeprofils, ist jedoch ein interessanter Ansatz.
Der auserkorene Entwurf „Windfang“ von Katharina Karrenberg beschränkt sich räumlich und inhaltlich eng auf den Ort des heutigen Hauses. Aus Beton gegossen soll der Sockel neu erstehen. Der ursprüngliche Grundriss des Hauses von 1950 ist für die Künstlerin offenbar eine Art Blaupause des Kunstwerks. Sie lässt in Beton die Treppe zum früheren Eingang wiedererstehen und verkürzt den Grundriss ansonsten auf das Element eines „Windfangs“, der im Boden als Betonplatte abgebildet wird. Die entsprechende Inschrift soll in Sütterlin eingegossen werden. Die Abstraktion hat den Vorteil der Übersichtlichkeit, daraus jedoch rührt auch der Nachteil des Entwurfs für den historischen Ort: Unterstützt durch die Materialwahl erhält das Kunstwerk eine zu große Beliebigkeit. Diesen Eindruck verstärken die Erläuterungen der Künstlerin zum Entwurf.
Helmut und Johanna Kandl nähern sich dem Thema im Gegensatz dazu mit Blick auf die Biografien von Julius und Annedore Leber („Über Leber“) und folgen den historischen Spuren und Schichten konkreter. Das vorhandene Haus, das sie interessant zur Projektionsfläche umdeuten, soll stehen bleiben. Schriftzüge, Graffitis und „Displays“ an den Mauern stellen die geschichtlichen Bezüge her. Die künstlerische Fassadengestaltung leidet jedoch darunter und scheint insgesamt noch nicht ausgereift.
Auch einer Verwaltung könnte auffallen, dass es einen Widerspruch gibt zwischen der Entscheidung, einen Bau abzureißen, weil er angeblich unbedeutend ist, und der Entscheidung, ein Kunstwerk an dessen Stelle zu setzten, das genau diesen Bau inszeniert. Indessen besann sich in allerletzter Minute die BVV auf ihr Mitspracherecht. In einem <link http: www.berlin.de ba-tempelhof-schoeneberg bvv-online external-link-new-window externen link in einem neuen>Beschluss vom August rief sie zum Runden Tisch auf. Endlich hatten zumindest Grüne, SPD und Linke bemerkt, dass die Intention des ursprünglichen BVV-Beschlusses von 2009, nämlich einen historischen Gedenkort zu schaffen, vom Bezirksamt konterkariert worden waren.
Am 27.9.2012 trafen sich Vertreter der Parteien und Sachverständige (Geschichtswerkstatt, Senatsverwaltung und Gedenkstätte Deutscher Widerstand) mit Amtsvertretern (Krüger, Kaddatz, Kroll, Zwacka) zu einem nichtöffentlichen Runden Tisch. Nach Meinung von Stadtrat Krüger sollte „das Wettbewerbsergebnis vermittelt, über das Verfahren informiert und die Realisierung des Denkzeichens reflektiert“ werden, und dies unter der Moderation des in diesem Fall nicht glücklich und transparent agierenden Büros für Kunst im öffentlichen Raum.
Wie aus Teilnehmerkreisen zu hören ist, hatte die Vermittlungsaktion in Sachen Kunst keinen Erfolg. Deutliche Meinungsäußerungen von SPD und Grünen, die der Geschichtsvermittlung Priorität vor einem Kunstwerk einräumten, stellen das Wettbewerbsverfahren und dessen Ergebnis zur Disposition. Auch der Abriss des vorhandenen Häuschens erregte Widerspruch. Die Parteien wollen sich jetzt über das weitere Vorgehen beraten.
Julia Heinemann, Enkelin von Annedore und Julius Leber, die sich für den Erhalt des Hauses ausspricht, hat an die BVV appelliert, die historische Bedeutung des Ortes über die Bezirksgrenzen hinaus, nicht aus dem Blick zu verlieren. Die Gedenkstätte Deutscher Widerstand sieht das ähnlich und hat im Rahmen des Runden Tisches großes Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit geäußert.
„Misstraut den Grünanlagen“, hieß es einmal bei Heinz Knobloch. Ob man diesen Rat in Zukunft auch dem Schöneberger Flaneur mitgeben muss, ist derzeit noch offen.
Dörte Döhl