Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Freizeit und Kultur im Nachbarschaftsheim

03.04.2015 / Projekte und Initiativen

Pflegestammtisch in der Kiezoase

Ein wichtiges Thema einer immer älter werdenden Gesellschaft ist die Pflegebedürftigkeit des Einzelnen die früher oder später beinahe jeden von uns trifft. Doch ab wann gilt man als „pflegebedürftig“, und wie wird Pflegebedürftigkeit überhaupt festgestellt?
Foto: Kiezoase

Zwar geht diesem Zustand meist ein Krankenhausaufenthalt voraus, dennoch findet Pflege meist im privaten Rahmen statt. Die wichtigsten Faktoren sind Zeit und Zuwendung. Deshalb sind es wesentlich die Angehörigen, die sowohl bei der Organisation als auch bei der Ausübung der Pflegetätigkeit eine tragende Rolle spielen. Diese Aufgabe ist zeitintensiv und emotional belastend und erfordert eine hohe Kraftanstrengung, weshalb den pflegenden Angehörigen aufgrund permanenter Überforderung meist wenig Raum für die Reflexion der eigenen Situation bleibt. So kommt es, dass eigene Bedürfnisse oft nicht ernst genommen oder verdrängt werden.

Vernetzung von pflegenden Angehörigen

Diesen Gefühlen einen Raum zu geben, ist das zentrale Anliegen der hier vorgestellten Selbsthilfegruppe. Im September vergangenen Jahres hat sich im Schöneberger Nachbarschaftszentrum Kiezoase in der Barbarossastr. 64 ein Pflegestammtisch gegründet. Initiator des Treffpunkts ist Nikolai Skibinski, der über ein Praktikum in der Kontaktstelle Pflegeengagement im Stadtteiltreff „Der Nachbar“ zu diesem Projekt kam. In der Selbsthilfe wird zwischen angeleiteten und selbst organisierten Gruppen unterschieden. Skibinski versteht sich nicht als Anleiter; vielmehr sieht er sich – ehrenamtlich – in der Rolle eines Moderators. Er findet es wichtig, dass Menschen in ähnlichen Situationen sich austauschen und gegenseitig Rat geben, da sie ja diejenigen sind, die über Expertenwissen verfügen. Im Mittelpunkt steht deshalb der Erfahrungsaustausch, und neben Ratschlägen gibt man sich gegenseitig Trost und Verständnis. Ein Gefühl der Verbundenheit ist zu spüren. Eine Teilnehmerin berichtet, dass ihr die Gruppe zu mehr Einsicht in die Krankheit ihrer Mutter verholfen und in der Gewissheit gestärkt habe, einen Anspruch auf Hilfe zu haben. Das anfänglich schlechte Gewissen wich einer konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema, die mit Hintergrundwissen eindeutig leichter fällt.

„Ich werde zum Elternteil, Eltern werden zu Kindern“

Übergriffiges Verhalten – häufig aus Zeitgründen – und Bevormundung der eigenen Eltern erzeugen Schuldgefühle und ein schlechtes Gewissen. Durch die fremde Perspektive und den emotionalen Zugang der anderen, die sich auch mit der Situation der Mutter solidarisieren, kann zwischen Erlebnissen und Handlungen vermittelt werden. Die Draufschau ermöglicht Verständnis für die Mutter. So gelingt es, gegenseitig Menschlichkeit und Verständnis herzustellen. Die Situation kann leichter ertragen werden. Neben der Einbeziehung einer fremden Perspektive auf die eigene Situation kann auch eine ironische Distanz Wunder wirken: Indem man sich hin und wieder über gewisse Aspekte der Situation lustig macht und Dampf ablässt, baut man negative Gefühle wie Frust oder Wut auf die eigenen Eltern ab.

Situation von Angehörigen verbessern

Der Gesetzgeber hat auf die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft reagiert. Eine erste Veränderung des Pflegegesetzes trat im Januar 2015 in Kraft, der zweite Teil soll 2017 verabschiedet werden. Der Begriff der Pflegebedürftigkeit ist unbedingt an die Wirklichkeit anzupassen, und neben medizinischen sollen nun auch soziale Aspekte miteinbezogen werden, u. a., indem die bestehenden drei Pflegestufen auf fünf erweitert werden Darüber hinaus gibt es Verbesserungen beim Pflegegeld: Dieses wird erhöht. Außerdem wird die Zahl der Betreuungsangebote erweitert. Bis zu zehn Tagen am Stück dürfen Angehörige nun in ihrem Job aussetzen, um eine Versorgung bei akut entstandenem Pflegebedarf sicherzustellen. Für diese Auszeit wird ein Pflegeunterstützungsgeld in Höhe von 90% des Nettoarbeitsentgelts gewährt. Weiterhin besteht ein Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit sowie eine berufliche Freistellung von bis zu 24 Monaten bei häuslicher Betreuung eines Angehörigen. Über das Bundesamt für Familie kann ein zinsloses Darlehen in Anspruch genommen werden.

Diese vom Gesetzgeber initiierten Verbesserungen werden von der Gruppe als dringend notwendig erachtet. Niedrigschwellige Lösungen wie Besuchs- und Mobilitätsdienst und der sofortige Anspruch auf Hilfe bei beginnender Demenz werden begrüßt. Kritisch gesehen wird, dass die Gesetze kompliziert geschrieben sind und der gesellschaftlichen Realität hinterherhinken. Ein dringendes Anliegen ist es, einen sogenannten „Oldiegarten“, in dem Angehörige tagsüber betreut werden, als niedrigschwelliges Angebot zu etablieren.

Bei Fragen gibt die Hotline der Pflegestützpunkte Berlin Auskunft (0800 595 0059), die werktags von 9 bis 18 Uhr neben telefonischer auch eine persönliche Beratung anbietet. Weitere Möglichkeiten der Information zur Selbsthilfe, Ehrenamt und Nachbarschaft in der Pflege bieten die Kontaktstellen Pflege-Engagement, die sich in jedem Berliner Bezirk befinden (pflegeunterstuetzung-berlin.de/).

Die Pflegestützpunkte für Tempelhof-Schöneberg befinden sich in der
Reinhardtstraße 7
12103 Berlin
Tel: 75 50 703

und in der Pallasstraße 25
10781 Berlin
Tel: 0331 2772 262 10.

Die Kontaktstelle PflegeEngagement sind im Nachbarschaftshaus Friedenau
Holsteinische Straße 30
12161 Berlin
Kontakt: Thorsten Schuler, Tel: 85 99 51 25
und im Stadtteiltreff „Der Nachbar“
Cranachstraße 7
12157 Berlin
Kontakt: Sabrina Grunwald, Tel: 85 40 31 28 (www.nbhs.de).

Der Pflegestammtisch trifft sich jeden 1. und 3. Dienstag von 17.30 bis 19.00 h im Freiwilligentreff der Kiezoase in der Barbarossastraße 64.

Kathrin Vogel

Kontakt

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