Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

05.05.2011 / Gewerbe im Kiez

Musik des Barock in Friedenau - die Clavichorde des Herrn Hermert

Steht man vor dem kleinen Ladengeschäft in der Bahnhofstraße 3 in Friedenau, fällt einem gleich die ungewöhnliche Schreibweise des Ladenlogos „Claviere“ ins Auge.
Andreas Hemmert in seiner Werkstatt in der Bahnhofstraße in Friedenau. Foto: Hartmut Becker

Die Frage, ob er Klavierbauer sei, verneint Herr Hermert vehement. Sein Aufgabengebiet beinhaltet die Restaurierung, das Stimmen und den Bau von historischen Tasteninstrumenten – dabei im Speziellen die Arbeit mit dem Clavichord.

Im April 1988 eröffnete der gelernte Orgelbauer sein Geschäft. Heute wird er von Frau Ziegert bei der Restauration unterstützt. Sie macht Schelllackpolituren sogar noch mit der Hand. Ein Nischengeschäft mit wenig Konkurrenz. In Europa gibt es ca. 20 Instrumentenbauer, die sich fast ausschließlich mit Clavichordbau beschäftigen. In Magnano/Italien zum Beispiel finden in regelmäßigen Abständen Treffen dieser seltenen Zunft statt.

Ein Clavichord ist ein Tasteninstrument, das seit dem 14. Jh. existiert und somit als das älteste aller Saiteninstrumente gilt. Die Saiten werden direkt angeschlagen. Heute ist das Instrument technisch ausgereift, der Original-klang ist jedoch nur schwer reproduzierbar. Bei einem Klavier schlagen die Hämmerchen auf die Saite, ein Cembalo wird „gezupft“ (früher mit einem Federkiel). Des weiteren besteht die Mechanik eines Klaviers aus vielen Einzelteilen.

Das Clavichord ist ein sehr sensibles Instrument, das jeden Spielfehler sofort hörbar macht. Es wird daher gerne von Klavierspielern zum Üben verwandt (z.B. das Reiseclavichord von Mozart). Im Gegensatz zum Klavier ist das Clavichord ein sehr leises Instrument. Der Klang ist mit technischen Mitteln nicht befriedigend reproduzierbar – CD-Aufnahmen verfälschen häufig den Klang.

Ähnlich ist es auch mit dem Bau von Clavichords – es kommen keinerlei elektrische Werkzeuge zum Einsatz, alles wird mit Hand geschnitzt. Die Bauzeit für ein größeres Instrument dauert daher auch ungefähr 150-350 Stunden und schlägt mit 16 – 20.000 Euro zu Buche.

Derzeit ist ein Mini Clavichord  in Arbeit. Das Original hierzu befindet sich im Schloßmuseum Arnstadt. Neben solchen Mini Clavichords baut Herr Hermert auch Miniorgeln - in der Größe einer Streichholzschachtel, mit Orgel-pfeifen aus Kugelschreiberminen. Das brachte ihm einen Eintrag ins Guinnessbuch der Rekorde ein.  

Relativ häufig sind Luxussonderanfertigungen. Die Oberflächen werden nicht lackiert, sondern mit Öl oder Wachs behandelt. Der Korpus besteht hier zum Beispiel aus Fichte, furniert. Zierleisten sind aus Nussbaumholz. Die hellen Tasten werden mit Walnussholz belegt. Die schwarzen Tasten sind aus Ebenholz. Die zierende Rosette wurde aus drei Lagen Ziegenhautpergament selbst geschnitten. Die Saiten sind aus Messing oder Eisen. Die Stimmwirbel werden selbst geschmiedet. Dieses Schmuckstück kostet dann etwa 13.000 Euro. Wie auch der Nachbau von Mozarts Reiseclavichord, in seltenem Ulmenholz. Dessen Resonanzkörper ist aus flexiblem Fichtenholz aus dem 18. Jh. (sogenanntes „Mondphasenholz“) gefertigt. Die hellen Tasten sind aus Olivenholz, die schwarzen Tasten aus Mooreiche (prähistorisches Holz).

Das Holz ist ein Schlüsselfaktor beim Bau der Instrumente: es muss gut abgelagert sein, für die Zeitdauer von 5-10 Jahren. Holz für Instrumentenbauer gibt es nicht einfach so zu kaufen, es muss selbst gelagert werden. Deshalb hat Herr Hermert eine eigene Xylothek und ein Holzlager mit bis zu 120 Jahre altem Holz.

Pro Jahr werden fünf bis sechs Clavichorde gebaut. Bemerkens-wert hierbei ist, dass häufig keine Baupläne vorliegen und Herr Hermert diese selbst nach alten Unterlagen aus dem 15. Jh. und erhaltenen Instrumenten in den Museen erstellen muss. Auftrags-mäßig ist er bis Oktober 2012 ausgebucht.

Die Instrumente werden von ihm auch nach Wunsch bemalt. Eine Kundin aus den U.S.A. wünschte sich eine Waldlandschaft mit ihrem Hund als Bemalung ihres Clavichords.

Das Interesse an seinen Instrumenten ist  übrigens international. Kunden aus den U.S.A., Israel, Taiwan und ganz Europa schätzen die Handarbeit aus Friedenau. Dabei handelt es sich um Berufsmusiker, Sammler und  Lieb-haber der Renaissance- und Barockmusik bis Bach. Selbst Keith Jarrett hat bereits Clavichordaufnahmen produziert und ein Stück für dieses Instrument komponiert.

Bei dem eindrucksvollen Gespräch mit Herrn Hermert war deutlich zu spüren, mit welchem Enthusiasmus und welcher Liebe zur Musik und zum Detail er arbeitet. Jedes seiner Instrumente ist ein von Hand gemachtes Unikat, das die Handschrift dieses sympathischen Künstlers trägt.  

Thomas Geisler


Clavicordwerkstatt
Andreas Hermert
Bahnhofstr. 3, 12159 Berlin

Kontakt

Stadtteilzeitung SchönebergHolsteinische Straße 3012161 BerlinStandort / BVG Fahrinfo
Stadtteilzeitung SchönebergHolsteinische Straße 3012161 Berlin
86 87 02 76 -79Fax 86 87 02 76 -72E-Mail senden
LeitungThomas Thieme0173/4825100E-Mail senden