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06.10.2020 / Menschen in Schöneberg

Mühsam nähret sich das Eichhorn

Rita Maikowski Spätestens ab sieben Uhr morgens geht das Getobe los. Dann starten sie ihre Joggingrunden kreuz und quer über Dach, Dachrinnen, Terrassen, Balkone, den an der Fassade rankenden Wein rauf und runter, von dort in die angrenzenden Eichen, in gewagten Sprüngen von Ast zu Ast und wieder zurück aufs Dach. Pure Lebensfreude aber auch Muskelertüchtigung für den anstrengenden Tag.
Foto: Matti Parkonnen

Der Spruch „Mühsam nähret sich das Eichhorn“ kommt nicht von ungefähr. Denn besonders jetzt im Herbst, wenn Bucheckern, Esskastanien und Nüsse reichlich vorhanden sind, muss der Wintervorrat gesammelt und vergraben werden. Zum Schutz vor Räubern an vielen verschiedenen Orten. Ob Eichhörnchen über ein schlechtes Gedächtnis verfügen, kann man nur vermuten. Tatsache ist, dass sie viele der gehorteten Vorräte nicht mehr wiederfinden. Damit sorgen sie für die Anpflanzung neuer Nahrungsquellen, das heißt aber auch, es muss doppelt und dreifach für ausreichende Winternahrung gesorgt werden. Die Nager halten nämlich keinen Winterschlaf.

Aber manchmal sind auch Menschen schuld, wenn Vorräte nicht wiedergefunden werden. Die offensichtliche Bestürzung eines unserer putzigen Baumbewohner werde ich nicht vergessen. Für die Neubepflanzung wurden Pflanzenreste und Erde aus den Blumenkästen entsorgt. Darin fanden sich auch vergrabene Nüsse. Kurze Zeit später erschien eines „unserer“ Eichhörnchen und untersuchte, sichtbar empört, die leeren Kästen. Alles weg! Es tat mir echt leid. Die frische Erde wurde aber später für das Verstecken der neuen Beute dankbar angenommen.

Der Speiseplan von Eichhörnchen besteht allerdings nicht nur aus vegetarischer Kost. Neben ihrer Hauptnahrung aus Nüssen, Zapfen und Beeren mögen sie auch Insekten und räubern gerne Gelege von Vogelnestern. Das führt natürlich zu Zoff mit den Vogeleltern. Wir beobachten diesen lautstarken Krieg jedes Jahr im Frühling. Das bei uns seit Jahren in den Eichen beheimatete Krähenpaar verteidigt dann vehement seinen Nachwuchs.

Eichhörnchen wohnen ebenfalls in Baumnestern, Kobel genannt. Die kugelförmigen Nester, kunstvoll aus kleinen Ästen gebaut und gemütlich mit Moos und Gras gepolstert, beherbergen Singles oder alleinerziehende Mütter, die sich nach ca. 4 Wochen Tragzeit um ihre bis zu 5 Kids in ihrem Kobel kümmern. 8 Wochen wird gesäugt, dann müssen die Kleinen lernen zu überleben, in den ersten Monaten aber immer noch in der Nähe der Mutter. Vorsicht ist auch geboten, Eichhörnchen haben gefährliche Feinde: Krähen, Greifvögel, Baummarder, Katzen. Nur etwa 20 Prozent des Wurfs überleben diese ersten Monate, aber wer es schafft, kann bis zu 12 Jahre alt werden.

Der Aktionsradius von Eichhörnchen beträgt mehrere Quadratkilometer. Da ist es nicht verwunderlich, dass Zweitkobel sich großer Beliebtheit erfreuen. Mehrere Wohnungen zur Verfügung zu haben kommt der Vorliebe der emsigen Kletterer für einen Mittagsschlaf, insbesondere im Sommer, sehr gelegen.

Zu Höchstleistungen laufen die artistischen Kletterkünstler zur Paarungszeit auf. Man kann sie stundenlang mit größtem Vergnügen beobachten, wie sie sich mit gewagten Sprüngen durch die Äste jagen und halsbrecherisch in Spiralen, auch kopfüber, gegenseitig um die Baumstämme herum hetzen. Diese Akrobatik ermöglicht ihnen einerseits ihre scharfen Krallen an Hinter- und Vorderpfoten, zum anderen ihr langer, buschiger Schwanz, der zur Steuerung und Balance beiträgt. Der fuchsrote Schwanz erfüllt aber auch noch Klimaausgleichsaufgaben: Im Sommer Schatten, im Winter als Kuscheldecke. Zusätzlich verdichtet sich im Winter das Fell und selbst die niedlichen Haarbüschel an den Ohren werden zum Schutz vor Kälte verstärkt.

Leider haben unsere rotbraunen europäischen Eichhörnchen in den letzten Jahrzehnten Konkurrenz bekommen. Ursprünglich in Nordamerika beheimatet, haben sich Grauhörnchen in Europa angesiedelt. Diese größeren und aggressiveren Nager stellen auf zweierlei Art eine Bedrohung für unsere Eichhörnchen dar. Zum einen entrinden sie Bäume, um darunter Nahrungsquellen zu finden, damit gefährden sie sowohl Waldbestand als auch Vogelpopulationen. Zum anderen tragen sie Krankheitserreger in sich, gegen die sie selbst immun sind, die aber für die europäischen Eichhörnchen tödlich sind. In Großbritannien und Irland haben die Grauen bereits die heimischen Roten bis auf kaum nennenswerte Restbestände verdrängt. In Norditalien sind die Grauen auch bereits zur Plage geworden, den Sprung über die Alpen haben sie offensichtlich noch nicht geschafft. Die Schweiz und Frankreich arbeiten bereits an Maßnahmen, einer möglichen Invasion der Grauen entgegenzuwirken.

Wer in seinem Garten, Hof oder überhaupt in der Umgebung gerne auch die Gesellschaft der quirligen und unterhaltsamen Eichhörnchen genießen und sie beobachten möchte, kann sie durch Fütterung anlocken. Dafür eignen sich besonders Walnüsse, Haselnüsse oder Sonnenblumenkerne, ausgelegt auf trockenem Untergrund. Übrigens, Eicheln mögen sie gar nicht, trotz ihres Namens. Der leitet sich eher aus dem Indogermanischen „aig“ ab, das heißt schnell, beweglich - genauso sind sie. Spezielle Eichhörnchen-Futterkästen mit diversen Angeboten, findet man im Internet, auch mit Selbstbauanleitungen. Ganz wichtig, Wassernäpfchen, gesondert aufgestellt, nicht vergessen! Mittel- und langfristig würden natürlich Anpflanzungen von früchtetragengenden Sträuchern und Bäumen den Eichhörnchen einen willkommenen Lebensraum bieten.

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