„Ich gehöre zur Zeitung und nicht ins Museum!“



Empörung war früher, mir ist der Witz wichtig. Der funktioniert nur mit Vorwissen, also müssen die Leute mindestens die Seite 1 der Tageszeitung gelesen haben. Witz wirkt wie eine Art innerer Befreiung: „Je höher der Druck ist, wie z. Bsp. in einer Diktatur, umso mehr politische Witze werden erzählt, obwohl es dann gerade besonders gefährlich ist.“ Nach einem kurzen Abstecher an die Uni Tübingen zog es den gebürtigen Schwaben 1970 mit 21 Jahren nach Berlin. Hier genoss er nicht nur das Studium der Kunstgeschichte an der geisteswissenschaftlichen Fakultät der Technischen Universität, der er großes Lob für ihre damaligen progressiven Konzepte zollt. Gleichzeitig genoss er das ungewohnt freie Leben in Abrisshäusern, den Kontakt zu Kommunarden, wurde politisiert und engagierte sich in Wort und Bild für politische Gruppen des linken Spektrums. Seit 1976, dem Jahr seines Magisterabschlusses, ist er als freiberuflicher Karikaturist vorwiegend im tagespolitischen Bereich tätig. Er war und bleibt überzeugter Kreuzberger, auch wenn er vor Kurzem auf die Tempelhofer Straßenseite seines Kiezes gewechselt hat.
Obwohl Klaus Stuttmann schon 1977 den „Deutschen Preis für politische Karikatur“ gewann, weitere Auszeichnungen folgten bis 2012 wie Jahresringe, konnte er von seiner zeichnerischen Arbeit allein zunächst nicht leben und verdingte sich u.a. als Layouter im Verlag. „So etwas habe ich mir selbst angeeignet“, sagt er auf mein Nachfragen. Überhaupt sei er Autodidakt.
„Ich bin kein Künstler, ich bin ein Kritzler. Hab schon als Kind Karikaturen gezeichnet. Dann wollte ich Maler werden, verstand seinerzeit aber die abstrakte Kunst nicht. Um sie zu begreifen, studierte ich Kunstgeschichte und Geschichte und erkannte, dass ich zum großen Meister nicht berufen war. Ich will die selbsternannten Autoritäten vom Sockel stoßen und mit meiner Bildaussage ihre vorgebliche Macht in Frage stellen. Jede Form von Machtmissbrauch ist mir zutiefst zuwider.“ Seit 1989 zeichnet er täglich, wurde alsbald Vater eines Sohnes und scheint dies bis heute sehr gern zu sein. Seine Kreativität entwickelte er zur Existenz sichernden und ihm angenehmen Einkommensquelle. Stuttmanns Karikaturen werden in etlichen Zeitungen, wie der „Financial Times Deutschland“ der „TAZ“, der „Leipziger Volkszeitung“, dem „Eulenspiegel“ und anderen mehr abgedruckt.
„Ideen kommen auf mich zu, bisher fiel mir immer noch rechtzeitig etwas ein,“ sagt Stuttmann. Und das ist auch gut so, denn er will seine pointierte Kritik zeichnerisch stets so umsetzen, dass sie eine Assoziation zur wichtigsten politischen Schlagzeile des nächsten Tages auslöst. In unserer extrem schnelllebigen medialen Welt bedeutet das Stress, denn er recherchiert bis kurz vor der Deadline im Internet, um auch die allerletzte aktuelle Information für seine neue Karikatur zu berücksichtigen. Urlaub ohne Zeichnen gäbe es für ihn so gut wie gar nicht mehr. „Außer eine Woche Skilaufen, da hab ich mal ausgesetzt.“ Seit zwölf Jahren zeichnet er direkt am Tablet und arbeitet mit Photoshop. „Ich bin nicht so ein haptischer Typ, der das Kratzen des Stifts auf dem Papier spüren muss,“ schmunzelt er, „allerdings gibt es auf die Art kein Original. Das finden manche Kollegen nachteilig, aber mich stört es nicht.“ Klaus Stuttmann wirkt auf mich ohnedies trotz aller Popularität bescheiden und gut geerdet. Solidarität mit den Freunden der zeichnenden Zunft sei ihm wichtig. „Man muss miteinander reden und darf sich nicht ausbeuten lassen.“
Bei einer Gelegenheit hatte seine entspannte Grundhaltung allerdings einen bösen Dämpfer bekommen. 2006 erhielt Klaus Stuttmann Morddrohungen und Hass-Mails aus aller Welt, als er, als innenpolitische Kritik gemeint, in einer Karikatur die deutsche Fußballnationalmannschaft in Bundeswehruniform gegen iranische Spieler mit dem Aussehen bärtiger Selbstmordattentäter antreten ließ, um sich gegen den Einsatz von Bundewehrsoldaten als Sicherheitskräfte für die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland auszusprechen. Selbst die Deutsche Botschaft in Teheran war in „den Fall Stuttmann“ involviert. „Ich bin damals leider gründlich missverstanden worden.“ Seitdem sei ihm die Selbstzensur präsenter geworden. Einschüchtern lasse er sich aber nicht: „Wenn Religion zu Unterdrückung fühlt, werde ich das kritisieren und das muss auch erlaubt sein!“
„Wir sterben aus, der Nachwuchs fehlt,“ bedauert Klaus Stuttmann am Ende unseres Gesprächs. Ich hoffe nur, bis dahin können wir noch oft beim Anblick typischer KS-Karikaturen über aktuelle Missstände schmunzeln oder gar lachen, die eigentlich gar nicht komisch sind.
Sibylle Schuchardt