Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Freizeit und Kultur im Nachbarschaftsheim

31.10.2012 / Menschen in Schöneberg

Ein Leben im Rollstuhl

Mir gegenüber wohnt Sarah. Täglich sehe ich, wie Sie morgens abgeholt, nachmittags wieder per Taxi nach Hause gebracht wird. Sarah, geboren 1983, seit Geburt an den Rollstuhl gebunden, wohnt seit 1987 in Friedenau.
Albrecht E. Arnold / pixelio.de

Sie ging in den Ev. Kindergarten in der Klixstraße, besuchte die Peter-Paul-Rubens-Schule, erlangte das Abi an der Sophie–Scholl–Schule und schloss das Studium an der Alice–Salomon Fachhochschule  mit dem Diplom für Sozialpädagogik ab. An der Sporthochschule Köln ließ sie sich zur Übungsleiterin für Rehabilation weiterbilden, an der ASH erfolgte die Fortbildung zum Coach.
Im Beruf unterstützt sie Menschen mit Handicap bei der Eingliederung ins Berufsleben. Mit Ihr führte ich ein Interview.

E: Sarah wir sind seit 25 Jahren Nachbarn. Wie erinnerst Du dich an deine Kindheit?
S: Meine Kindheit war fröhlich. Auch im Kindergarten. Alles war normal. Zuhause genoss ich die Herzlichkeit der Familie. Ich erinnere mich gut an meine Großmutter, sie hat mich gerne im Rollstuhl geschoben. Als meine Schwester in mein, unser Familienleben kam, veränderte sich nicht viel für mich. Ich war nicht neidisch auf meine wesentlich mobilere Schwester. Wir wohnten im 2. Stock, es war eben so, dass ich nicht spontan einfach mal raus konnte, und doch war ich oft  draußen.

E: Im Kindergarten, dann in der Schule, geht es oft darum, wer schneller, kräftiger ist. Jedes  Kind will sich beweisen! Warst Du da nicht ärgerlich?
S: Sicherlich war ich richtig sauer, bei manchen Spielen nicht mitmachen zu können oder nicht so fix zu sein.
E: An deiner Grundschule, der Peter-Paul-Rubens-Schule gab es zu deiner Zeit ein Theaterprojekt, an dem sich jede(r) aus deinem Jahrgang beteiligen sollte. Wie war das für dich?
S: Ich bekam die Hauptrolle. Nicht, weil ich wegen meiner Behinderung bevorzugt wurde, sondern weil ich gut war als Sarah. Natürlich war ich froh, das gefiel mir. Auch war ich ein wenig stolz.

E: Hast Du aus deiner Schul- und Kindergartenzeit noch eine feste Freundin?
S: Ja.

E: Sicher hattet Ihr auch Klassenreisen – wie fandest du diese?
S: Ich habe Klassenreisen nicht gemocht – auch weil ich von zu Hause weg war. Ich brauchte mein gewohntes Umfeld.

E: Insgesamt – egal ob Grundschule / Gymnasium / Uni - warst du ja sehr gefordert. Wie hast du das  geschafft? War auch noch Zeit für andere Unternehmungen?
S: Nach der Schule / Uni bin ich recht erschöpft nach Hause gekommen und habe mir eine kurze Ruhepause gegönnt. Danach wurde gegessen, dann ging es an die Hausaufgaben.

E: Mit 15 Jahren, als Teenager, sind Mitschülerinnen zum Tanzen gegangen, fingen an zu rauchen, zu trinken, zu flirten. Hat dich dies nicht sonderlich gereizt?
S: Ich habe das nicht vermisst – war tatsächlich, wie schon erwähnt, vom Tagesablauf genug ausgefüllt.

E: Sarah, hast Du gerne Musik gehört?
S: Ja sehr gerne, ich bin offen für verschiedene Musikrichtungen.

E: Sarah, du bist ja die erste Generation, die so richtig in die Computerzeit, auch in der Schule reingewachsen ist. Ist dir das leicht gefallen?
S: Ja, ab der 6. Klasse hatte ich meinen ersten Laptop. Doch meine Hausaufgaben hatte ich ohne diese Hilfsmittel gemacht. Doch ohne PC komme ich im Beruf nicht mehr aus.

E: Was wünscht Du dir von der Politik? Auch hier in Friedenau?
S: Ich wünsche mir, dass mehr Bürgersteige abgesenkt werden, ich möchte frei, ungehindert überall hinfahren können, auch alleine.

E: Du lebst allein in einer behindertengerechten Wohnung. War es eine große Umstellung für Dich?
S: Nein. Es ist gut so. Meine Automatiktür, sowie eine niedrigere Küche helfen mir. Ich fühle mich  wohl. Meine Eltern wohnen gegenüber, schauen regelmäßig bei mir rein.

E: Der Film „Ziemlich beste Freunde“ hatte großen Erfolg in Deutschland – hast Du ihn gesehen?
S: Ich fand ihn toll, sehr lustig.

E: Manche Sprüche waren doch grenzwertig?
S: Na ja, aber er war doch sehr zum Lachen .

E: Sarah, vielen Dank für unser Gespräch. Es war eine „barrierefreie“ Unterhaltung.
S: Ja, fand ich auch, kannst Du ein paar Flyer für mein Coaching mitnehmen?
E: Gerne.

Ernst Karbe

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