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06.02.2022 / Orte und Plätze

Doppelruf der Feuerhupe

Von Maria Schinnen. Darf eine Gemeinde ihre Einwohner im Notfall zu Dienst- und Hilfeleistungen verpflichten? Ja, das darf sie. Diese Regel galt bereits in den Gründerjahren von Friedenau.
Feuerwehr im benachbarten Steglitz um 1900. Foto: Heimatverein Steglitz

Der Landerwerb- und Bauverein nahm bereits beim Kauf eines Grundstücks die Verpflichtung von jedem Käufer ab, sich im Notfall als Feuerwehrmann zur Verfügung zu stellen und sich am Kauf von Löschgeräten sowie am Bau eines Spritzenhauses finanziell zu beteiligen. Die Friedenauer schienen das nicht sonderlich ernst zu nehmen, jedenfalls mussten sie erst durch einen gerichtlichen Prozess zur Einhaltung gezwungen werden. Was die Mithilfe bei der Pflichtfeuerwehr betraf, so gab es glücklicherweise in den ersten zehn Jahren keine größeren Brände im Ort, sodass einfach keine Einsätze erforderlich waren. So machte sich Nachlässigkeit breit.

An einem warmen Augustsonntag 1882 passierte es aber doch, die Feuerhupe zeigte mit ihrem Signal „Einmal lang, einmal kurz“ ein Feuer im Ort an. In der Fregestraße war durch eine Unvorsichtigkeit eines Klempners auf dem Dach der Rösnerschen Villa ein Feuer ausgebrochen. Doch mancher Friedenauer schien den Ruf einfach zu ignorieren. Ob es an den sommerlichen Temperaturen oder am sonntäglichen Ruhebedürfnis lag, war nicht zu klären. Jedenfalls war die Zahl der zum Spritzenhaus Albestraße 31 eilenden Männer deutlich zu gering. Ergebnis: Der erste Einsatz der Pflichtfeuerwehr ging ziemlich schief. Das wühlte die Gemüter gehörig auf, erkannten man doch, dass im Ernstfall der eigene Besitz nicht geschützt war. Die Gemeindeversammlung tagte, diskutierte und kam überein, dass ein erzwungener Einsatz bei fehlender Motivation eher den Widerstand fördere als das Engagement für das Gemeinwohl. Also löste man 1882 die Pflichtfeuerwehr auf und gründete eine Freiwillige Feuerwehr.

Freiwilligkeit benötigt Motivation. Wie schafft man diese? Zunächst einmal wurden schmucke Feuerwehruniformen angeschafft. Wenn dann die „feschen Männer mit Schneid“ bei Marschmusik ihre Paraden auf dem Schulhof der Gemeindeschule Albestraße oder auf dem Wilmersdorfer Platz (heute Rene-Sintenis-Platz) abhielten, wurde die junge Kolonne dicht umlagert und von allen Seiten bewundert. Das schaffte Identifikation, hob die Brust und machte stolz, dazu zu gehören. Jeder Junge träumte fortan davon, Feuerwehrmann zu werden. „Feuerwehr“ wurde eins der beliebtesten Spiele auf dem Schulhof. Und wenn dann noch finanzielle Spritzen von Bürgern als Anerkennung an die Mannschaft flossen, umso besser. Die Geldspenden nutzte man für gemeinsame Weihnachtsfeiern mit Geschenkverlosungen an die Kinder der Mitglieder, für Feiern zu Kaisers Geburtstag (27.1.) oder dem Sedantag (2.9.), bei dem große Feuer errichtet und von den tapferen Jungs später gelöscht wurden. Es gab Wohltätigkeitskonzerte zur Unterstützung der Arbeit der Feuerwehr, jährliche Vorträge in den Schulen zu den Aufgaben eines Feuerwehrmannes und die Arten der Brandbekämpfung, aber auch die Feuerwehrmannschaft selbst wurde regelmäßig zu Appellen zusammengerufen, denn man war in Berlin und in anderen Orten zu der Erkenntnis gelangt, dass „die Einführung der Mannschaften in das innerste Wesen der feindlichen Elemente und der Geräte, mit denen sie dieselben bekämpfen, den Eifer in ihrem Dienst und die Zuverlässigkeit in demselben erhöhen“. Die Vorträge waren von zahlreichen physikalischen und chemischen Experimenten begleitet. So wurden beispielsweise das Wesen des Luftdrucks, die Anwendung in den Hebern, den Saug- und Druckpumpen, die Wirkung in den Windkesseln und das Zusammenwirken aller Elemente in der Feuerspritze gezeigt. Der chemische Teil des Vortrags befasste sich mit dem Feuer selbst als „Begleiterscheinung der Verbrennung“ und das Wesen der Verbrennungserscheinungen“. Waren die Experimentalvorträge öffentlich, zogen sie stets ein breites Publikum an, sodass es die Friedenauer Feuerwehr sogar schaffte, über Spenden einen Teil der Mittel für eine bessere Ausstattung zu beschaffen. Die Einbeziehung der Bevölkerung war ein wichtiges Element, um die ruhmreiche Tätigkeit der Friedenauer Feuerwehr herauszustreichen und weitere Freiwillige zu werben. Es wurde sogar ein jährlicher Feuerwehrtag eingerichtet, an dem man Können, Struktur und Organisation zeigen und der Bevölkerung damit imponieren konnte.

Dies war auch vonnöten, denn die Einsätze wurden häufiger. Fast täglich waren Dachstuhlbrände zu verzeichnen. Oft war es das Werk von Brandstiftern. Die Täter kamen über die Dächer, stiegen in offene Luken ins Haus ein und legten Brandsätze. Bis dann die Bewohner den Brand bemerkten, waren sie bereits über alle Berge. Auch Obdachlose drangen in die Dachstühle ein, errichteten dort ihre Schlafstatt, rauchten und entzündeten Brände. Nicht selten konnten die Feuerwehrmänner lediglich das Übergreifen des Feuers auf die Nachbardächer verhindert und so brannten die Dachstühle, oft aber auch ganze Häuser nieder. Um dies zu verhindern, regte der Friedenauer Lokalanzeiger an, eine Wache zu organisieren und fremde Menschen rücksichtslos aus dem Hause zu werfen. Die Skepsis gegenüber Fremden und Hausierern im Haus machte sich breit. Die Motivation der Friedenauer Feuerwehrmänner war so groß, dass sie, egal, welcher Tätigkeit sie gerade nachgingen, augenblicklich zum Sammelpunkt stürzten, um rechtzeitig helfen zu können. Einmal sollen sie sogar direkt vom Maskenball in Verkleidung gekommen sein, ein anderes Mal kam einer barfuß und in Unterhosen, weil er sich keine Zeit zum Ankleiden genommen hatte. Für die Nacht war ein Nachtwächter eingestellt, der, sobald er einen Feuerschein am Himmel erblickte, sofort Alarm mit seiner Feuerhupe gab.

So auch am 27.7.1900 gegen 1 Uhr nachts. Bald rückte ein Löschzug mit 16 Mannschaften, dem Feuerschein folgend, nach Südende in Steglitz aus. Doch wo war die Brandstelle? Die Suche erbrachte kein Ergebnis und so wurde die Fortsetzung der Fahrt als zwecklos angenommen und die Heimfahrt wieder angetreten.
Insgesamt aber war die Einrichtung einer Freiwilligen Feuerwehr im Vergleich zur Pflichtfeuerwehr ein richtiger Schritt. Sie blieb bis zur Gründung Großberlins erhalten und arbeitete überaus erfolgreich.
Danach ging sie in die Freiwillige Feuerwehr Schöneberg über, die auch heute noch in der Feurigstraße stationiert ist. Mit 18.700 Einsätzen pro Jahr ist sie die am meisten alarmierte Feuerwehr der Stadt. Sie unterstützt die Berliner Berufsfeuerwehr.

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