Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Freizeit und Kultur im Nachbarschaftsheim

11.12.2016 / Menschen in Schöneberg

Das Salz der Erde

Seit 23 Jahren ist das Nachtcafé ein Asyl für obdachlose Menschen.
Das Team des Nachtcafés. Foto: © Diakonisches Werk

In der Überlieferungsgeschichte der jesuanischen Botschaft nimmt der Evangelist Matthäus einen bedeutenden Platz ein. So findet sich bei ihm nicht nur der Weisheits-Rat „Einer trage des anderen Last“, sondern auch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn dieser Empfehlung: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch erquicken. Nehmet auf euch mein Joch und lernet von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.“

In der Gewissheit dieser Botschaft lebt in Friedenau Hanna Dr. Lichtenthäler. Sie legt Wert auf die Stellung des Doktortitels hinter ihrem Vornamen, der sich von Johannes dem Täufer herleitet, denn den analytischen Geist des Doktors will sie davon abgetrennt auf ihre Tätigkeit als Ärztin beschränken. Es war im bitterkalten Februar des Jahres 1994, als ihr auf dem Weg zur Arbeit in der U-Bahn die kleine Tagesspiegel-Anzeige eines Neuköllner Pfarrers ins Auge stach. Darin bat er die christlichen Gemeinden der Stadt um tätige Mithilfe bei der Bereitstellung von Schlafmöglichkeiten für wohnungslose Männer und Frauen.

Auch die Medien hatten damals ihren Blick auf die Vergessenen am Rande gerichtet. Es war sogar zu kältebedingten Todesfällen inmitten der blind funktionierenden Gesellschaft gekommen. Nur drei Tage dauerte es, und im Haus der Kirchengemeinde Zum Guten Hirten war Platz geschaffen für ein erstes Nachtasyl, und viele Gemeindemitglieder standen Hals über Kopf für die Betreuung bereit.

Inzwischen läuft die 23. Saison, die jedes Jahr vom 1. November bis zum 31. März dauert, bei anhaltend kaltem Wetter aber verlängert wird. Der Name Nachtcafé für das Asyl deutet bereits darauf hin, dass über die Bereitstellung von 15 Schlafplätzen hinaus Kaffee, Tee oder Säfte angeboten werden, dazu Brot mit Aufschnitt und Käse. Und als besonders begrüßte Besonderheit bereitet umschichtig und nach Einsatzplan jeweils einer der etwa 40 Ehrenamtlichen eine warme Mahlzeit, in der Regel ein kräftiger Eintopf, und bringt sie selbst um 21 Uhr in die Einrichtung, die sich heute am rückwärtigen Eingang des Gemeindehauses in der ehemaligen Souterrain-Wohnung eines kirchlichen Mitarbeiters befindet. Geöffnet wird dann um 21.30 Uhr. Um 6 Uhr zum Wecken erscheint dann ein anderer Ehrenamtlicher und bereitet den Frühstückstisch. Um 8 Uhr ist die Stätte wieder leer. Das Erstaunlichste daran ist, dass dieser Dienst von den meisten Helfern noch vor Beginn der eigenen Berufstätigkeit wahrgenommen wird. So auch von der Gründerin bis zu ihrer Berentung vor wenigen Jahren. Aber sie führt ihn fort bis auf den heutigen Tag.

„Manche der obdachlosen Menschen sehen wir nur einmal,“ sagt sie, „andere kennen wir seit Jahren. In der persönlichen Begegnung hören wir von manch turbulentem Lebensweg, erahnen bei dem einen oder anderen den langen Kampf, dem Elend des Straßenlebens zu entkommen, häufiger steht uns jemand gegenüber, der das Kämpfen schon lange aufgegeben hat.“ Bewährt hat sich in ihrer Sicht das niedrigschwellige Konzept: „Niemand wird abgewiesen, egal ob er betrunken, überaus schmutzig oder auffällig krank ist. Es gibt keine Personenkontrolle, wir kennen, wenn überhaupt, nur den Vornamen.“

Da ganz unterschiedliche Menschen auf so engem Raum miteinander auskommen müssen, denn die Schlafenden liegen dicht an dicht auf Isomatten in zwei kleinen Räumen, nachdem dort die Tische und Stühle beiseite geräumt sind, müssten Konflikte eigentlich an der Tagesordnung sein. Doch die Dankbarkeit der Menschen über diese Zufluchtsstätte obsiegt fast immer. Nur ganz selten müssen die beiden hauptamtlichen Kräfte, die in der Nacht die Aufsicht führen, und die wie die Ehrenamtlichen ihre Schichten selbständig verabreden, tatsächlich eingreifen und Streit schlichten. Dann allerdings müssen die Grenzen deutlich aufgezeigt werden, und tatsächlich hat es auch schon Hausverbote gegeben.

Organisation ist alles

Die gesammelten Erfahrungen werden in regelmäßig stattfindenden Besprechungen ausgetauscht und finden Eingang in die Gesamtgestaltung. Und gestaltet werden muss viel. Im Hintergrund wirken helfende Hände und Köpfe an Verwaltungsaufgaben, organisieren den Einkauf und sammeln Spenden. Wie dankbar die von den Bitterkeiten der Obdachlosigkeit geplagten Menschen über eine Zuwendung sind, konnte ich bei meinem Besuch in der Einrichtung selbst erleben: Zwei polnische Wanderarbeiter zeigten sich weihnachtlich erfreut über eine Jacke und ein Wollhemd aus dem Spendenbestand, der neben der Bettwäsche und den Handtüchern in der Kleiderkammer neben der Küche lagert.

Am Nachmittag des 2. Advent ist das Nachtcafé auf dem Breslauer Platz aus Anlass des Engelmarktes mit einem Stand vertreten. Dort können alle Interessierten Möglichkeiten der eigenen Mitwirkung erkunden, auch indem sie etwa verabreden, einige Einsätze am Abend oder Morgen probeweise mitzulaufen. Man muss deswegen auch nicht Gemeindemitglied sein. Es gibt sogar Helfer, die als Obdachlose die Einrichtung kennengelernt haben und nun im eigenen Einsatz die Freude jenes „sanften Jochs“ selbst erleben, von dem Matthäus berichtet hat. Kleiderspenden bleiben hochwillkommen und können in der Küsterei abgegeben werden. Eine Kontaktaufnahme ist möglich unter: <link>nachtcafe@zgh-friedenau.de

Spendenkonto:
Kirchliches Verwaltungsamt Schöneberg
IBAN: DE81100708480528000300
BIC: DEUTDEDB110
Bitte als Verwendungszweck angeben: ZGH und Nachtcafé.

Ottmar Fischer

Kontakt

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