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06.02.2022 / Orte und Plätze

Chamisso in Schöneberg

Von Arthur Brande. Die Diskussion um die Sanierung des Kleistparks in der letzten Nummer der Stadtteilzeitung lenkt erneut der Blick auf Adelbert von Chamisso (1781-1838). Er ist zwar eher als Dichter der Romantik bekannt, war jedoch hauptberuflich Botaniker.

Als Zeitgenosse Alexander von Humboldts hatte er am damaligen Königlichen Botanischen Garten in Schöneberg, dem heutigen Kleistpark, seine Wirkungsstätte. Darauf verweisen zwei Hinweistafeln vor Ort. Von 1819 bis kurz vor seinem Tod war Chamisso dort als Kustos des Herbars tätig, das heißt als Betreuer und wissenschaftlicher Bearbeiter der getrockneten Pflanzensammlungen. Derartige auch heute noch laufend zusammengetragene Sammlungen stellen weltweit in der Pflanzensystematik und Pflanzengeographie die Grundlage der Beschreibung neuer Pflanzenarten und der Überprüfung alter Zuordnungen dar. Nach dem Umzug des Botanischen Gartens und Museums von Schöneberg nach Dahlem zum Königin-Luise-Platz 1906 werden diese Arbeiten bis heute als eine aktuelle und zunehmend wichtige Grundlage der Biodiversitätsforschung und des Artenschutzes kontinuierlich und unter Einbeziehung neuester Analysemethoden fortgeführt.

Chamisso hat seine Erdumseglung auf dem russischen Schiff Rurik von 1815 bis 1818 erst 1836 ausführlich in der Reise um die Welt geschildert, die nach wie vor lesenswert und in aktuellen Ausgaben im Buchhandel leicht zugänglich ist. Von dieser Weltreise hatte er eine reichhaltige Pflanzensammlung mitgebracht. Zuvor war er durch Selbststudium der Alpenflora in der Schweiz und seit 1812 als Medizinstudent an der neu gegründeten Berliner Universität zu soliden botanischen Kenntnissen gelangt. Seine erste fachliche Veröffentlichung war 1815 eine Ergänzung zu der zwei Jahre zuvor erschienenen Flora Berolinensis von Carl Sigismund Kunth. Diese Zusammenstellung erarbeitete er 1813 im Schloß Kunersdorf bei Wriezen an Rande des Oderbruchs, wo zu derselben Zeit auch das ein Jahr später veröffentlichte Märchen Peter Schlemihls wundersame Geschichte entstand. Dieses machte ihn schnell berühmt, und auch nach seiner Weltreise blieb er weiterhin als Dichter tätig. Manche seiner Gedichte wie Das Riesen-Spielzeug von 1831 und Die alte Waschfrau von 1833 waren bis in das 20. Jahrhundert weithin bekannt. Die Haupttätigkeit Chamissos und sein ausgeübter Beruf waren und blieben aber bis zum Schluss die systematische und geographische Botanik.

Chamissos Arbeitsort lag seit 1823 auf einem Erweiterungsgelände am Südwestrand des Botanischen Gartens. Die Aufgaben des Botanikers nach der dreijährigen Expedition waren vielfältig. Neben der laufenden Herbarbetreuung erarbeitete er im Auftrag des Ministeriums ein 1827 erschienenes Lehrbuch für den „gebildeten, aber unkundigen Leser“ mit dem Titel Übersicht der nutzbarsten und der schädlichsten Gewächse, welche wild oder angebaut in Norddeutschland vorkommen. Eine Vielzahl von Blütenpflanzen, dazu Farne, Moose, Pilze, Algen und Flechten sind in diesem Lehrer-Handbuch nach Bestimmungsmerkmalen, Eigenschaften sowie Verbreitung, Verwendung und Giftwirkung behandelt und unter didaktischen Gesichtspunkten dargestellt. Außerdem musste er ein Schülerherbar von 30 Exemplaren zu je 300 Pflanzen (d.h. 9000 Belegen) sowie vier Herbarien zu 1.200-1.500 Pflanzen zusammenstellen und abliefern. Dafür hat er auch seine früheren Verbindungen nach Kunersdorf wieder belebt und genutzt. Zur Herbar-Tätigkeit, die er bis kurz vor seinem Tod fortführte, sprach er gerne von seinem „geliebten Heu“, über den ministeriellen Auftrag aber auch von „einer großen Heumanufaktur“.

Chamisso gilt im Gefolge von Alexander von Humboldt, der ihn förderte und zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften berufen ließ, als einer der Mitbegründer der Pflanzengeographie. Schon im Peter Schlemihl, der mit Siebenmeilenstiefeln die Kontinente und Wuchszonen durchmisst, hatte er die Erforschung der globalen Flora als eine Wunschvorstellung vorausgenommen.

In der wissenschaftlichen Botanik war und ist Chamisso bis heute anerkannt und geschätzt, wie neuere und neueste Publikationen zeigen, zuletzt 2021 in den Verhandlungen des Botanischen Vereins von Berlin und Brandenburg, Band 153. Von botanischen Fachkollegen sind 5 Pflanzengattungen und 28 Pflanzenarten zu Ehren von Chamisso benannt. Sein Portrait ist seit 1959 im Foyer des Botanischen Museums in Dahlem auf einem Bronzemedaillon zu sehen, das 1880 an seinem Wohnhaus in der Friedrichstraße 235 (in Kreuzberg zwischen Mehringplatz und Kochstraße) angebracht worden war. Von seiner Wohnung ging Chamisso täglich botanisierend oder dichtend „über das Feld nach Schöneberg“, wie sein Vorgesetzter, der Botaniker Diederich Franz Leonhard von Schlechtendal in einem Nachruf auf den früheren Zimmerkollegen im Königlichen Herbarium schreibt.

Der Vorname Adelbert leitet sich vom Taufnamen des 1781 in der Champagne geborenen Charles Louis Adelaïde de Chamissot de Boncourt ab. In Berlin änderte Chamisso spätestens um 1812 den Rufnamen in Adelbert, wie auch seit 1814 in seinen ersten Veröffentlichungen. Eine seiner Töchter erhielt den Namen Adelaide, einer der Söhne den Namen Adelbert. Anders bei Adalbert Stifter (1805-1868), dem aus Südböhmen stammenden österreichischen Erzähler, der übrigens Chamisso als Dichter schätzte. Er wurde auf Albert getauft und sein Name erst im Gymnasium zu Adalbertus in Anlehnung an der heiligen Adalbert, Bischof von Prag (956-997) latinisiert.

Das Berliner Ehrengrab von Adelbert und Antonie von Chamisso ist auf dem Friedhof III der Jerusalem- und Neuen Kirchengemeinde am Halleschen Tor in Kreuzberg. Dort ruht auch E.T.A. Hoffmann, der eine treffende Portraitzeichnung des jugendlichen Chamisso angefertigt hat.

2019 wurde in Kunersdorf bei Wriezen das erste und einzige Museum eröffnet, das ausschließlich dem Leben und Werk Chamissos gewidmet ist (www. kunersdorfer-musenhof.de).

Öffnungszeiten von März bis Oktober an Wochenenden und Feiertagen 11-17 Uhr, sonntags und feiertags Führung um 14 Uhr.

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