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17.10.2016 / Menschen in Schöneberg

Busoni: Fantasia contrapuntistica aus Monte bello di Berlino

“Einen Europäer von Goetheschem Geistesrang” nannte ihn der berühmte Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt;

„ ... eine italienische Futuristengefahr“ war er dagegen für den Komponisten und Wagnerfreund Hans Pfitzner in seiner Schmähschrift von 1917 gegen diesen Nichtdeutschen (der seit 1894 Berlin als Wahlheimat gewählt hatte, während des 1. Weltkriegs in der Emigration in Zürich lebte und 1919 wieder nach Berlin zurückkam) und für die Damenwelt Schönebergs war er „ ... der Lohengrin mit der weißen Krawatte“, so schön und ätherisch sah er aus. Aber so schön und dazu noch brilliantissimo bediente er mit seinen Fingern schon seit früher Kindheit  das Pianoforte, was ihm den Ruf eines „zweiten Mozartischen Wunderkindes“ einbrachte.

Sein Vater erzog ihn bereits in der Kindheit mit Ohrfeigen zum Studium der Bach’schen Musik und wollte aus ihm einen deutschen Musiker machen. Er überarbeitete zahlreiche Klavierwerke Bachs nach seinen Vorstellungen und komponierte schließlich im reifen Alter die unter Pianisten berühmte und berüchtigte Komposition „Fantasia contrapuntistica“ nach dem Vorbild der ebenso berühmten, aber unvollendeten, „Quadrupel–Fuge“, also einer besonders schwierigen Vierfach-Fuge von Johann Sebastian Bach, weil er dessen Klaviermusik „zuende denken und das Klavier vergessen machen wollte“. Seine musikalische Gedankenwelt war  mit dem Vordringen in ein „Drittel- bzw. Sechsteltonsystem“ revolutionär und so konstruierte er dafür auch ein  „Drittel–Ton–Piano“, also eines mit drei Tasten für einen Ton. Kein Wunder, dass ihn die Musikwelt bewunderte, ihn aber gleichzeitig nicht verstand, so wie es auch Arnold Schönberg und Anderen zur damaligen Zeit erging.

Zahlreiche eigene Klavierwerke komponierte er, war Lehrer für Komposition an der Berliner Akademie der Künste und so ehrenwert, dass er von seinen begabten Klavierschülern keinerlei Honorar verlangte. In seiner letzten Berliner Wohnung seit 1910 am Viktoria-Luise-Platz 11 (siehe dortige Gedenktafel am Haus) stapelte er 5.000 wertvolle Bücher, die seine Frau nach seinem Tod im Jahr 1924 verkaufen musste, weil der Familie das Geld fehlte, denn als Schöneberger Grandseigneur wollte er in seinem Leben von Weib, Wein und guten Zigarren nicht lassen. Und die Inflation  bewirkte ein Übriges für den Geldmangel.

Die Nachwelt hat ihn mit einer wunderschönen und seinem Wesen entsprechenden Skulptur von Georg Kolbe und einem Ehrengrabstein auf dem Künstlerfriedhof in der Stubenrauchstraße in Friedenau gewürdigt. Und der Musikwelt hat er ein umfangreiches musikalisches Erbe hinterlassen, u.a. die Opern „Turandot“ ,“Die Brautwahl“ und „Doktor Faust“. Im Rainer Maria Rilke gewidmeten „Entwurf einer neuen ästhetischen Tonkunst“ mit Anmerkungen von Arnold Schönberg sind seine theoretischen Gedanken nachzulesen.

Die Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin weiß sich glücklich, den wohl umfangreichsten Nachlass der Werke Busonis zu besitzen, u.a. auch mehrere Autographen der Fantasia contrapuntistica, zahlreiche Dokumente zur Musikgeschichte Berlins im 20. Jahrhundert, sowie auch seinen witzigen Essay über Sinn und Form der Zigarrenkisten. Schließlich bleibt der Hinweis, dass Leo Kestenberg, Namensgeber der Musikschule Schöneberg, ein Schüler Busonis war.

Hartmut Ulrich

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