Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

04.03.2012 / Projekte und Initiativen

Berlinale-Hopping III

Zum drittenmal Berlinale-Streiflichter, immer noch am Ball für unsere Leserinnen und Leser! Wir sind unserer Gewohnheit treu geblieben, uns die glamourösen und politischen Filme für spätere Kinotage aufzuheben, über die berichtet ja sowieso die „große“ Presse. Lieber schnuppern wir hier und da in Forum und Panorama herum und erzählen davon, was in den sog. kleinen Filmen passiert. In diesem Jahr ist die Berlinale ja sogar in unsere Nähe gerückt, in der Reihe „Berlinale goes Kiez“ gab es zwei Filme im neu eröffneten Bundesplatz-Kino zu sehen!
Berlinale goes Kiez. Der Rote Teppich vor dem Bundesplatz Kino. Foto: Christiane Rodewaldt

Es war eine Berlinale der starken Frauen: die wunderbare Meryl Streep, die gerade in Hollywood für ihre Rolle als Margaret Thatcher einen Oskar bekam, wurde mit einem goldenen Ehrenbären für ihr bisheriges Lebenswerk geehrt, Angelina Jolie stellte ihren ersten Film als Regisseurin vor, und wir konnten u.a. Juliette Binoche, Isabelle Huppertz, Nina Hoss, Martina Gedeck und Charlotte Rampling in großartigen Rollen bewundern.

Der Welt abhanden gekommen
Das Buch „Die Wand von Marlen Haushofer“, das wir mit Spannung und Empathie in den Sechzigern gelesen hatten, ist nun in Österreich verfilmt worden, das wollten wir sehen! Der Film hält sich eng ans Buch und bestätigt die Bilder, die ich im Kopf hatte, betörende Bilder: die Berge, die Hütte, die Alm, wo die Heldin gefangen ist, getrennt durch eine gläserne Wand vom Rest der Welt, in dem alles menschliche und tierische Leben erloschen scheint. Allerdings hatte ich die Geschichte offenbar in all den Jahren für mich „zuende geschrieben“, denn ich war fest davon überzeugt, dass die Frau, am Ende alt geworden, stirbt, was weder im Film noch im Buch der Fall ist. Das Ende bleibt offen. Martina Gedeck (die mich in dieser Rolle frappierend an Sigourney Weaver in „Snow Cake“ erinnert) spielt und spricht die allein gebliebene Frau, die sich ein neues Leben in der Natur erobern muss und sich dabei verändert, sehr einfühlsam und intensiv. Schade nur, dass die ursprüngliche Idee, den Film mit der Musik von Hubert von Goisern zu unterlegen, nicht verwirklicht wurde. Er ist der einzige, der vor meinen Ohren jodeln darf. Seine elegische und romantische Art dieses „Gesangs“ hätte Stimmung und Bilder des Films vollendet untermalt.

Ein Stück Leben
Jaurès ist der titelgebende Stadtteil von Paris, wo zwischen Bürgerhäusern ein Kanal fließt, an dessen Rändern sich in toten Winkeln Schmuddelecken gebildet haben, in denen sich illegale Einwanderer aufhalten. Wo sich im vorjährigen Berlinalebeitrag „Day is done“ ein Leben in den Gesprächen auf einem Anrufbeantworter abspielt, während die Kamera Züricher Stadtszenen einfängt, sehen wir hier einen Film im Film: ein alternder Mann zeigt einer Freundin die Aufnahmen, die er einst vom Fenster der Wohnung seines Geliebten aus von diesem Territorium gemacht hat, von den Lebensbedingungen der Afghanen, die hier ihre Nächte verbringen, sommers wie winters, regelmäßig von der Polizei kontrolliert und vom städtischen Gesundheitsdienst betreut. Eines Tages sind sie verschwunden, man weiß nicht, wohin. Es bleiben die Angler, die Kinder, die aus der Schule kommen, nachts die erleuchteten Fenster der umliegenden Häuser. Mit ruhiger Stimme kommentiert der Mann seinen Film, erzählt von einer Phase seines Lebens, von seinem Freund Simon, der die Flüchtlinge unterstützt hat und den er vermißt. All das ist vergangen, existiert nur noch wie eine Kapsel in seiner Erinnerung und in diesem Film.

Mal was anderes...
Auweia, da waren wir aber unter die Räuber gefallen! Der Film Mommy is coming ist ganz harmlos unter den Panoramafilmen angekündigt, von zwei jungen amerikanischen Lesben ist die Rede, die durch Berlin toben, und dann kommt Mommy und es geht rund! Warum nicht, dachten wir, mal was anderes, sicher sehr lustig. Ja denkste, wir sind in einen PORNO geraten, richtig hardcore, Einblicke bis in die intimsten Winkel! Und was sich in Sexclubs so abspielt, wissen wir jetzt auch, wenn man dem Film Glauben schenken will. Wollten wir eigentlich gar nicht so genau wissen, aber nun ja. Was tun, sollen wir gehen oder stehen wir das durch? Wir blieben, in der Hoffnung, dass sich noch so etwas wie eine glaubwürdige Handlung entwickeln würde. War aber nicht, an einem dünnen Faden hangelt sich der Film von „Stelle“ zu „Stelle“ entlang, am Schluss wird sogar noch der gute alte Ödipus bemüht. Hier und da wird gejuchzt, aber am Ende war der Beifall nicht gerade rauschend. Offenbar war's nicht nur uns peinlich...

Abschied vom Hasen
Ein Sonnenspaziergang im Tiergarten brachte mir eine Karte für den USA-Film Arcadia im Haus der Kulturen ein, ein Roadmovie, in dem ein Vater mit seinen drei Kindern fast 5.000 km durch die Staaten fährt zu einem Job in Kalifornien. Die Mutter sei bei einer Tante und käme nach, hieß es. Wie es sich für ein Roadmovie gehört, ist der Weg das Ziel: das Verhältnis des Vaters zu seinen Kindern, das der Kinder untereinander, ihre Erlebnisse während der langen Fahrt. Die zwölfjährige Greta schlägt sich mit den Stimmungen der Pubertät herum und leidet unter der Abwesenheit der Mutter und der Ahnung, dass etwas nicht in Ordnung ist. Trost bietet ihr ein Stoffhase, Relikt aus Kindertagen, der sie überallhin begleitet. Doch dann kommt der Tag, an dem sie ihn in der Natur zurücklässt: der Vater nimmt sie ernst und erklärt ihr, dass die Mutter einen Zusammenbruch hatte und wohl nicht nachkommen wird. Sie ist erwachsen geworden. Selbst die kleineren Kinder im Saal folgen mucksmäuschenstill der spannenden Handlung dieses ruhig erzählten Films und freuen sich hinterher über die Anwesenheit von „Greta“ und dem kleinen Bruder auf der Bühne.

Mit der Jury waren wieder einmal nicht alle zufrieden: die Berlinale habe sich einen Schwerpunkt in politischen und neuen, jungen Filmen erarbeitet, hieß es, und nun sei doch wieder ein konventioneller Film alter Machart, nämlich der schwedische Beitrag „En kongelig Affaere“, mit dem goldenen Bären bedacht worden!

Sigrid Wiegand

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