Zur Orientierung für Menschen mit Behinderungen

Freizeit und Kultur im Nachbarschaftsheim

04.11.2014 / Projekte und Initiativen

35 Jahre AI Nadi: Bildung, Beratung und Treffpunkt für arabische Frauen

Hannah Drexel und Lina Ganama blicken zurück auf 35 Jahre Arbeit mit arabischen Frauen im Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V.!
Geburtstagsfeier im Nachbarschaftshaus. Foto: Thomas Protz

AI Nadi -"AI Nadi" ist arabisch und bedeutet "der Club"- ist entstanden im Jahre 1979 durch das Engagement zweier Studentinnen der Sozialarbeit im Berufsanerkennungs-jahr, Isa Reimann und Rita Wacker.
Die eine leistete ihr Berufspraktikum beim (damals noch kleinen) Nachbarschaftsheim Schöneberg e.V. ab, die andere beim Jugendamt Schöneberg in der Betreuung sogenannter "besonderer Personengruppen"; dies waren zu dieser Zeit vor allem viele palästinensische Flüchtlingsfamilien. Diese flüchteten Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre aus den bombardierten Flüchtlingslagern im damaligen Bürgerkriegsland Libanon nach Berlin, um hier endlich Sicherheit für Leib und Leben zu finden.

Schnell stellte sich heraus, dass es vor allem bei den Frauen ein großes Bedürfnis nach einem gemeinsamen Treffpunkt gab, da sie ihre in arabischen Ländern üblichen traditionellen Frauengemeinschaften verloren hatten. Einen großen Bedarf gab es außerdem an Sprachunterricht und erster Orientierung in einem neuen Land.
Durch die gute Zusammenarbeit zwischen Nachbarschaftsheim Schöneberg und Jugendamt Schöneberg wurde es möglich, dass die Berufspraktikantinnen ihre Idee umsetzen konnten und erste Angebote für die Neuankömmlinge gemacht werden konnten.

Anfangs in den Räumen eines Schülerladens in der Cranachstraße, später in den Räumen des türkischen Frauenladen KIDOB unterrichteten die Sozialarbeiterinnen die arabischen Frauen in der lateinischen Schrift und in Deutsch, berieten die Frauen bei Problemen mit Behörden, organisierten gemeinsame Ausflüge innerhalb Berlins, putzten und heizten im Winter den Kachelofen...

Zu Beginn betrug die finanzielle Zuwendung des Bezirksamtes Schöneberg DM 390.- monatlich, später wurde ein Teil der Miete und der Sachkosten über den "Selbsthilfetopf“ des damaligen Senators für Soziales Ulf Fink finanziert.
1984 wurde AI Nadi erstmals von der Ausländerbeauftragten des Senats mit einer halben PersonalsteIle gefördert, ab 1988 mit zwei halben Personalstellen.
Im Jahr 1987 wurden endlich eigene Räume in der Moselstr. 3 in Friedenau gefunden. Bis zu dieser Zeit waren in erster Linie die Sozialarbeiterinnen Rita Wacker und Karin Redlich, wenig später die Sozialarbeiterinnen Anna Fischer, Hannah Drexel und als arabische Mitarbeiterin Lina Ganama maßgeblich am weiteren Aufbau des Projektes beteiligt. Neben ihrer Beratungs- und Organisationstätigkeit waren sie immer wieder auch als Deutschlehrerinnen tätig.

Ab 1988 konnte in den Räumen des AI Nadi drei Jahre lang ein vom Landesamt für Gesundheit und Soziales finanziertes sog. „Trainingsprogramm für jugendliche Asylbewerberinnen“ durchgeführt werden, welches sich zum Ziel gesetzt hatte, mittels bildungsunterstützender und pädagogischer Angebote arabische Flüchtlingsmädchen auf den Hauptschulabschluss vorzubereiten. Die Mitarbeiterinnen gingen hierfür in die Wohnheime, in denen die Familien untergebracht waren und sprachen mit den Eltern, um sie für das Programm zu gewinnen.
Ein dreijähriges EU- Modell- Projekt zur Beratung, Betreuung und Sprachförderung arabischer Frauen folgte 1994. Neben all diesen Aktivitäten wurden regelmäßig im Sommer Frauen- und Mädchenreisen durchgeführt, meist nach (damals sog.) "Westdeutschland".

Von 1999 bis 2001 führte AI Nadi ein Kooperationsprojekt mit drei Kreuzberger Grundschulen durch, welches unter dem Namen "Schulbegleitende Elternbildung für arabische Eltern" von der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin gefördert wurde. Im Rahmen dieses Projekts wurden nicht nur die Eltern beraten und aufgeklärt, sondern auch die Schulen durch Sprach- und Kulturmittlung dabei unterstützt, die Kommunikation mit den arabischen Eltern zu verbessern - bei Elterngesprächen, Elternabenden, Schulkonferenzen etc. Außerdem wurden in den beteiligten Schulen die ersten Deutschkurse für Mütter in Schulen organisiert, eine Idee, die später mit den sog. Elternkursen der Volkshochschulen stadtweit umgesetzt wurde.

Ab 2001 wurde von Al Nadi in Zusammenarbeit mit anderen Beratungsstellen aufgrund der bestehenden Problematik eine intensive politische Lobbyarbeit gestartet, um für geduldete staatenlose Palästinenser aus dem Libanon eine aufenthaltsrechtliche Lösung zu erreichen. Von der entsprechenden Weisung des Innensenators 2005 profitierten schließlich 1800 Personen, die eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis erhielten.

Ab 2004 baute Al Nadi aufgrund der Nachfrage von Müttern nach schulischer Unterstützung ihrer Kinder ein ehrenamtliches Nachhilfeprojekt auf, bei dem Freiwillige in arabische Familien gehen und dort arabischstämmigen Kindern und Jugendlichen Nachhilfe in verschiedenen Fächern erteilen.
Die Akquise neuer Ehrenamtlicher wurde 2009 von in diesem Projekt tätigen Studenten in eigener Regie übernommen und mittels einer eigenen homepage massiv ausgebaut, inzwischen wurden über 250 sog. Schülerpaten vermittelt. Der eigens gegründete Verein Schülerpaten Berlin e.V. hat inzwischen drei Dependancen bundesweit aufgebaut und dafür den Dachverband Schülerpaten Deutschland gegründet.

Von 2011 bis 2013 finanzierte das deutsche Hilfswerk ein Projekt, in dem die Eltern der am Schülerpaten-Projekt teilnehmenden Kinder intensive Beratung und Begleitung in allen schulischen und erziehungsrelevanten Fragen erhielten.
Seit 2014 nun ist bei Al Nadi eine halbe Fraueninfrastrukturstelle zur Verbesserung der Situation gewaltbetroffener Migrantinnen angesiedelt, mit der die Beratung und Begleitung von häuslicher Gewalt betroffener arabischer Frauen finanziert wird.
AI Nadi hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten zu einer zentralen Anlauf-, Clearing- und Beratungsstelle für arabische Frauen aus dem gesamten Berliner Stadtgebiet entwickelt. AI Nadi ist inzwischen vernetzt mit vielen anderen Beratungsstellen und Institutionen und wird regelmäßig als interkultureller Mittler von anderen Diensten benötigt.

Die laufenden Hauptschwerpunkte der Arbeit sind allerdings nach wie vor Bildung und Beratung.
Die Mitarbeiterinnen Hannah Drexel und Lina Ganama, die seit 26 Jahren im interkulturell gemischten Team arbeiten, sind neben der Organisation der Kurse vor allem mit Beratungsarbeit beschäftigt. Die Beratungszeiten sind Dienstags und Donnerstags von 10 bis 14 Uhr, es können aber auch außerhalb dieser Zeiten Beratungstermine abgesprochen werden.
Einen großen Raum in der Beratung nimmt die Gewaltproblematik innerhalb der Familien ein. Dieser Bereich inklusive Trennungs- und Scheidungsberatung ist zu einem Schwerpunkt unserer Beratung geworden, allerdings eher  unfreiwillig. Es werden uns immer wieder Frauen mit Ehe-, Trennungs- und Scheidungsproblematik von Jugendämtern oder anderen Institutionen geschickt, da sich diese meistens in sprachlicher, kultureller und rechtlicher Hinsicht überfordert fühlen.
Die Opfer von Gewalt und/oder ständiger Demütigung sind häufig junge, nachgezogene Ehefrauen. Nur in Ausnahmefällen haben diese jungen Frauen hier Familienangehörige, die ihnen in schwierigen Situationen helfend unter die Arme greifen könnten. In der Regel leben nur Angehörige des Mannes in Deutschland, dieser Umstand ist jedoch für die Frau eher eine Bedrohung als eine Hilfe. Bedauerlicherweise kommt es immer wieder vor, dass von Gewalt in der Ehe betroffenen Frauen in der Beratung klar gemacht werden muss, dass im Falle einer Trennung die Frau ihr Aufenthaltsrecht verliert, da dieses in der Regel in den ersten drei Jahren der Ehe an den Partner gebunden ist.
Da die Frauen meist auf keinen Fall in ihr Heimatland zurück wollen, müssen hier oft unbefriedigende Lösungen in Kauf genommen werden. Frauen, die sich zur Trennung entschlossen haben, vermitteln wir an Rechtsanwältinnen und/oder an Frauenhäuser und Zufluchtswohnungen. Als Beratungsfall bleiben uns die Frauen meist erhalten, da es nur wenige arabische Übersetzungsmöglichkeiten in Berlin gibt.
Auch bei aufenthalts- und sozialrechtlichen Fragen, bei Erziehungsproblemen, bei Schul- und Ausbildungsfragen, bei Problemen mit Behörden, der Hausverwaltung, mit dem JobCenter oder dem Sozialamt werden wir immer wieder zu Rate gezogen.

Wir sagen Danke!
In all den Jahren wurde das langjährige deutsch-arabische AI Nadi -Team immer wieder von sehr engagierten ABM- Kräften, Sozialarbeiter- Berufspraktikantinnen, Honorarkräften, Kinderbetreuerinnen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen unterstützt, die alle das Ihrige zum Erhalt und Ausbau des Projekts beitrugen.
Ihnen wollen wir an dieser Stelle einmal für alles danken, was sie in dieser Zeit für da Projekt geleistet haben. Ohne sie wäre AI Nadi nicht das geworden, was es heute ist!

Hannah Drexel und Lina Ganama